„Nein, bitte nicht. BITTE nicht! Nicht die Gitarre! Das müsst ihr doch verstehen… Nehmt mir die Double Bass, nehmt mir das Feedback, nehmt mir in drei Gottes Namen auch den Satan – aber nehmt mir nicht die Gitarre! Ohne die kann ich nicht, ohne die WILL ich nicht sein…“ So ungefähr wird sich der Metal gewunden haben, doch ohne Aussicht auf Erfolg: INLEGEND geben einen Scheiß auf vermeintliche Tabus und machen auch auf ihrem neuen Album „Stones At Goliath“ ohne Sechssaitige weiter.Tragende Elemente sind daher weiter die Keyboards und der Gesang, gern mit (bombastischem) Chor angereichert. Die traditionell besetzte Rhythmusabteilung macht aus ihren Stücken allerdings deutlich Rocksongs, wenngleich von besonderer Ausprägung.
Wenn bildlich gesprochen die elfenbeinernen Schachfiguren des Königs Asepto des Ersten vor goldenem Sonnenuntergang zum Leben erwachen und sich formvollendet im Kitsch-Ballett ergehen, dann tun sie dies zu „Stones At Goliath“ von INLEGEND. Allerdings tun sie dies dermaßen elegant und auch dynamisch, dass jeder Missklang tatsächlich auch einer zu viel wäre. Mit anderen Worten: INLEGEND um Chef und Sänger Bastian Emig, der auch Schlagzeuger bei VAN CANTO ist, haben ein Verständnis von Rockmusik, das ausgehend von der alles überstrahlenden Melodie auf ausgeklügelte Arrangements und perfekte Darbietung setzt. Ein Verständnis, in dem jede Dissonanz, jeder Kontrollverlust, in dem jeder akustische Schmutz unangebracht wäre. Für die Kneipe um die Ecke ist solche Musik nicht konzipiert – und für meine Ohren damit eigentlich auch nicht (abseits der ewigen Jugendsünde AOR). Dass die Gitarren fehlen, mag hierzu beitragen, ist aber meines Erachtens eher nebensächlich.
Im Kern geht es INLEGEND darum, per Hymne zu überwältigen, über die große Bühnen-Geste das Kitschzentrum zu aktivieren, die Gänsehaut wird hier nicht über die Magengrube angestrebt. Und ohne Scheiß, deren große Refrains und die gleichsam inbrünstige wie pathetische Intonation Bastian Emigs schreien förmlich danach, sich der Oberbekleidung zu entledigen und den Blick gen Himmel zu richten. Das alles klingt wahlweise also überkandidelt, süßlich, operettenhaft und glattgebügelt – oder eben ohrenschmeichelnd, mitreißend, perfekt durcharrangiert und millimetergenau in Szene gesetzt. Ich entscheide mich bei INLEGEND nach ca. 12 Durchgängen und anfänglicher Skepsis für letzteres.
Während einiges zu träge vor sich hin tröpfelt („The Voodoo Girl“) oder vor Schmalz geradezu trieft (das balladeske „A Thousand Paper Cranes“), sind zum Beispiel der Opener „Envoys Of Peace“, „Threatened“ oder die mit coolen 70s-Tastenpassagen veredelten „Alienation“ und das zudem angejazzte „Another Me“ durchaus packende Epen. Und die Refrains von „Lonely“ sowie vor allem des überragenden „To New Horizons“ sind Ohrwürmer, wie sie im großen Buche Pop stehen. Obwohl der geklimperte Einstieg des letzteren schon ein bisschen an 90er-Eurodance gemahnt – ziemlich geil.
„Stones At Goliath“ ist so ein zumindest im konservativen Rockmusik-Kontext ungewöhnliches Album mit großem Melodieverständnis und technischer Raffinesse – und nicht zuletzt einem sozialkritischen textlichen Ansatz. Auch letzterer trägt schließlich dazu bei, dass die Songs nicht vor lauter Melodieseligkeit gerinnen und buchstäblich in Schönheit erstarren. Wer auf die Pathos-Schiene steht und sich eine gute Stunde Wind-in-der-Dauerwelle-Hardrocks ohne Klampfen gut vorstellen kann, der findet „Stones At Goliath“ cool. Alle anderen… na ja. Wälzen sich lieber fix in einer Lache BULLET oder MIDNIGHT oder so. Was ich verstehen könnte, nur jetzt eben gerade nicht…
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