Ihsahn - Das Seelenbrechen

Review

Eigentlich ist es total sinnlos, ein Album wie IHSAHNs fünftes Solo-Werk „Das Seelenbrechen“ mit einem klassischen Review beschreiben zu wollen – am liebsten würde ich jeden Leser / jede Leserin dieser Zeilen an meinen mannigfaltigen Reaktionen auf dieses Zehn-Song-Monster teilhaben lassen, die sich aber leider nicht in Worte fassen lassen. Damit werfe ich an dieser Stelle auch ausdrücklich jegliche Objektivität bei der Bewertung (nicht jedoch bei der Beschreibung!) des gebotenen Materials über Bord. Ich Fanboy ich…

Zu Beginn vielleicht ein kurzer Rückblick auf den Vorgänger von „Das Seelenbrechen“, namentlich „Eremita„: Dort traf ich die Aussage (zu der ich übrigens auch im Angesicht „Das Seelenbrechen“s stehe!), in diesem Album so etwas die „Essenz“ IHSAHNs entdeckt zu haben. Ungleich schwieriger ist es – zumindest oberflächlich betrachtet – während der gerade veröffentlichten knapp 49 Minuten, etwas Vergleichbares oder überhaupt den sprichwörtlichen „roten Faden“ freizulegen; zu eigenwillig, gar verschroben präsentiert sich Vegard Tveitan anno 2013.

Zunächst jedoch gelingt IHSAHN scheinbar spielerisch der Anschluss an „Eremita“: „Hiber“ schlägt weitgehend in dieselbe Kerbe wie das Vorgänger-Album – schwerer, schwarzmetallisch angehauchter Progressive Metal, der weder seine EMPEROR-Vergangenheit noch die Jazz-Einflüsse der letzten Alben verleugnen kann; ein stimmiger, cooler, vergleichsweise leicht verdaulicher Song. Noch zugänglicher ist der Nachfolger „Regen“, der mit einem großartigen Klavier, noch größerartigen Blechbläsern und tollen Chören aufwarten kann und in mir beim ersten Durchgang tatsächlich den Verdacht aufkeimen lässt, IHSAHN habe sich nach den letzten Ausflügen in immer sperrigere musikalische Gefilde entschlossen, ein wenig zurückzuschalten. Verstärkt wird der Verdacht noch durch den vierten Song „Pulse“, der – kein Witz! – durchaus auch auf einem LINKIN PARK-Album stehen könnte.

Welch Irrtum! Direkt nach dem eingängigen (damit aber keineswegs weniger gelungenen!) Zuckerbrot „Pulse“ holt IHSAHN mit „Tacit 2“ die Peitsche heraus: Improvisation galore! Schlagzeug und Gitarre laufen Amok, selbst beim Gesang werde ich das Gefühl nicht los, dass Onkel Vegard nach Gefühl intoniert und sich überhaupt nicht um irgendwelche mutmaßlichen Richtlinien wie Takte oder Harmonik schert. Das wirklich Überraschende ist, dass das Resultat trotz seiner vermeintlich „ziellosen“ Struktur atmosphärisch vollkommen gelungen ist – das muss man erstmal schaffen! Ebenso gehört Einiges dazu, mir harmonisch dermaßen die Ehrfurcht ins Gesicht zu zaubern wie es IHSAHN im nachfolgenden „Tacit“  gelingt. Der Wahnsinn.

Nach diesem musikalischen Bruch – und dazu bedarf es meiner Erfahrung nach den einen oder anderen Durchlauf mehr! – passiert etwas ganz Spannendes: Die Puzzlestücke fügen sich zu einem Ganzen! Vermeintlich eingängige Songs wie die oben genannten „Regen“ oder „Pulse“, aber auch das durch unglaublich coole PINK FLOYDeske Soli glänzende „M“, zeigen feine Risse in ihrer Struktur (als Beispiel sei hier einmal der Versatz der Textzeilen in „Pulse“ genannt) und offenbaren – endlich! – den roten Faden des Albums. So fügen sich auch das Intermezzo „Rec“ sowie das abschließende, ebenfalls bis an die Grenzen des Musikalischen improvisierte „See“ stimmig in den Gesamtkontext ein.

Was also ist „Das Seelenbrechen“ in seiner Gesamtheit? Es ist einmal mehr die Essenz, die Seele IHSAHNs, die sich nunmehr in ihrer gesamten Zerbrechlichkeit offenbart, ohne das stützende (aber eben auch einengende) Korsett EMPERORs (verdammt, ich wollte dieses Mal wirklich ohne den Namen auskommen!). IHSAHN lotet die künstlerische Freiheit, die er eigenen Angaben zufolge schon seit seinem ersten Solo-Album „The Adversary“ (eigentlich sogar schon seit „Prometheus“) zu vervollkommnen sucht, weiter aus und erreicht damit atmosphärische Ebenen, zu denen ihm nur wenige folgen werden. Das ist schade, aber wohl das Schicksal dieses Black-Metal-Eremiten.

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04.11.2013

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1 Kommentar zu Ihsahn - Das Seelenbrechen

  1. Milch sagt:

    Was hab ich mich gefreut als ich das neue Scheibchen in Händen hielt, dann, nach dem ersten Durchlauf, war der Zauber verflogen. Ich finde nicht, dass Ihsahn die Klasse der Vorgänger erreicht, zumal der Impro-Song meiner Meinung wie gewollt und nicht gekonnt rüber kommt. Schlagzeugsoli können WESENTLICH abwechslungsreicher klingen. Der Rest hat seine Makel, aber auch seine Stärken. „Regen“ finde ich mit seiner Dramaturgie wirklich großartig, „Hilber“ bietet die gewohnte, programmatische Qualität eines Ihsahn-Openers, das ruhige „Pulse“ überrascht, der Rest wabert aber leider nur im guten Mittelfeld herum. Und – wie gesagt – „Tacit II“ ist der Beweis, dass Ihsahn das improvisieren wirklich lassen sollte!!!

    7/10