Ihsahn - Arktis.

Review

2013. Mit seinem bis dato unzugänglichsten Album „Das Seelenbrechen“ dürfte IHSAHN inzwischen auch den letzten Old-School-Black-Metal-Fan aus seinem Gefolge vergrault haben. Doch schon ein Jahr später wird der Genreveteran wieder schwach: Mit EMPEROR erweckt IHSAHN im Jahre 2014 „In The Nightside Eclipse“ auf ausgewählten Festivalbühnen erneut zum Leben. Jenes einflussreiche Schwarzmetall-Debüt, das 1994 den Grundstein für die Karriere des norwegischen Ausnahmemusikers legen sollte. 22 Jahre später erscheint Soloalbum Nummer sechs – und zeugt einmal mehr vom unergründlichen Durst nach genreübergreifenden Experimenten.

Experimente, die, wie „Das Seelenbrechen“ gezeigt hat, auch einmal unbequem ausfallen können. Für weniger Impro-Prog-affine Fans sollte „Arktis.“ daher eine angenehme Rückbesinnung auf frühere Werke darstellen, immerhin weist ein Großteil der Stücke wieder konventionelle Songstrukturen auf. Doch was genau lässt IHSAHN in Zeiten der überschäumenden progressiv-extremen Musik eigentlich noch aus der Masse herausstechen?

Zwischen Ohrwurm-Potential und elegischer Riffingkunst

Nun, erst einmal hat sich der Großmeister in der Vergangenheit einige unverwechselbare Trademarks erarbeitet. Schwermütige, doch meist zackige Twin-Leads schüttelt Vegard Tveitan ja schon seit der mittleren Schaffensphase EMPERORs aus dem Ärmel, welche seit „After“ endgültig in ihrer eigenen Liga spielen dürften („Frozen Lakes On Mars“). Und auch „Arktis.“ profitiert erneut von jenen starken Leitmotiven. Schon die Auskopplung „Mass Darkness“ meistert den Drahtseilakt zwischen Ohrwurm-Potential und elegischer Riffingkunst erneut mit Bravour – und das trotz charmantem MOTÖRHEAD-Rumpelrhythmus. Im Refrain trifft das Melodiekonstrukt dann auf IHSAHNs patentierte Psychoscreams. Und auf Matt Heafy.

Ein bisschen Starschau muss sein

Tatsächlich hat IHSAHN die Gebete des TRIVIUM-Fronters nach jahrelanger, medienwirksam zur Schau gestellter Fanboy-Attitüde letztlich doch noch erhört. Mit seinem kurzen Gesangspart tritt Heafy nun in die Fußstapfen von Mikael Åkerfeldt (OPETH), Kristoffer Rygg (ULVER) sowie LEPROUS-Chef (und IHSAHN-Schwager) Einar Solberg. Letzterer gibt auf „Arktis.“ natürlich gerne sein erneutes Stelldichein („Disassembled“, „Celestial Violence“), gleiches gilt für SHINING (NOR)-Mastermind Jørgen Munkeby. Bei derartigen Ausnahmemusikern darf ein bisschen Starschau um der alten Zeiten willen ruhig sein.

Doch wenngleich IHSAHNs Stil auf „Arktis.“ wieder vermehrt an „After“ und „Eremita“ erinnert, behält er beileibe nicht alle Stilmittel bei. Statt aufgedrehter Blackjazz-Flitzerei verpasst er Munkeby diesmal seine nötige Ritalindosis, welcher mit seinem überraschend gemäßigten Saxophon-Beitrag „Crooked Red Line“tatsächlich zu echten Jazz-Vibes verhilft. Der Chef vom Dienst versucht sich derweil zunehmend an neuen Tasteninstrumenten und überrascht auf „My Heart Is Of The North“ mit einem beeindruckend stimmigen Orgel-Solo der Marke YES und ELP.

Schlechter Industrial? Das kann ich auch!

Doch auf der Einkaufsliste standen diesmal augenscheinlich auch analoge Synthesizer, deren Einsatz er teils mit honigweichen Pop-Gesangslinien („Frail“), teils mit markanten Screams verbindet. Letztere Kombination will allerdings nicht immer fruchten und verdirbt insbesondere das zum üblen Plastik-Klopper avancierende „South Winds“, das zugleich den Tiefpunkt der Platte ausmacht. Schlechter Industrial? Das kann ich auch! SHINING (NOR) haben’s ja auch ein bisschen vorgemacht.

Als schwer zugänglich stellt sich letzten Endes auch das in Kooperation mit dem norwegischen Autor Hans Herbjørnsrud entstandene Spoken-Word-Stück „Til Tor Ulven (Søppelsolen)“ heraus. Derartige Experimente sollte IHSAHN womöglich seinen ex-Kollegen ULVER überlassen, denen derartiges auf „Wars Of The Roses“ wesentlich tiefgründiger gelingen will.

Was bleibt, sind neun stattliche Tracks, die IHSAHN vielleicht vielseitiger denn je zeigen – und für mindestens zwei neue Hits in der ansehnlichen Diskografie des progressiven Paradiesvogels sorgen sollten. Für enttäuschte „Das Seelenbrechen“-Verächter endlich wieder geeignet, für ewig gestrige „In The Nightside Eclipse“-Veteranen wie immer unbrauchbar.

03.04.2016

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