Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Ziemlich genau ein Jahr nach dem Erstlingswerk erschien mit “Osculum Obscenum” der Nachfolger, und damit einhergehend standen bei HYPOCRISY ein paar Änderungen an. Zunächst hatte sich der zweite Gitarrist Jonas Österberg wieder vom Acker gemacht, aber auch ohne ihn ging das Songwriting für den zweiten Streich flott von der Hand. Das mag daran gelegen haben, dass Gitarrist Peter Tägtgren die Band nicht mehr als sein Soloprojekt ansah, sondern sich die anderen Mitglieder deutlich mehr einbringen konnten. Und so hatten die Schweden bereits im März 1993 ein 4-Track-Demo zusammen, das Relapse Records im Rahmen seiner „Underground Series“ sofort in die Plattenläden schoss.
Flott von der Hand
Der erste Eindruck: Waren die lyrischen Ergüsse vom Debüt eher einfacher Natur, klangen Songs mit Titeln wie “Exclamation Of A Necrofag” und “Attachment To The Ancestor” doch deutlich elaborierter; “Necronomicon” verwies zudem auf das Werk H.P. Lovecrafts, was dem Ganzen eine mystische Note verlieh. Die Texte wurden diesmal von Sänger Masse Broberg verfasst, und das bedingte schon mal eifriges Blättern im Wörterbuch des Vertrauens.
Kurze Zeit später hatten die Musiker die Zahl der Neukompositionen auf acht Tracks erhöht, die sie in einem spartanisch eingerichteten Kellerstudio von ein paar Freunden eintrümmerten. Als Peter Tägtgren die Aufnahmen abmischen wollte, waren gerade alle gebräuchlichen Effektgeräte verliehen und im Live-Einsatz – was die Jungs mit einem “scheißegal!” quittierten. Daher klingt “Osculum Obscenum” roher als vielleicht beabsichtigt.
“Osculum Obscenum” kommt ohne Effekte aus
“Osculum Obscenum” erscheint am 12. Oktober 1993 und knüpft erstaunlich nahtlos an das Debüt “Penetralia” an: Darauf muss man tatsächlich besonders hinweisen, denn in einigen Punkten wirkt das Album doch deutlich schwarzmetallischer, als es eigentlich ist. Das Wes Benscoter-Cover (gegenüber Dan Seagrave beim Debüt) trägt seinen Teil dazu bei, genauso wie die unheimliche Ausleuchtung der Bandfotos auf der Rückseite. Und die Texte und Songtitel haben wir ja schon genannt. Zudem tummelt sich genau in der Albummitte eine Coverversion des programmatischen VENOM-Brechers “Black Metal”.
Musikalisch ist “Osculum Obscenum” jedoch lupenreiner Death Metal in der Schnittmenge Florida und Schweden, wobei diesmal sogar die auf dem Debüt noch vereinzelt vorhandenen Thrash-Einflüsse ausgelassen werden. Aber Peter Tägtgren, mittlerweile ja der einzige Gitarrist, haut auf seiner selbstredend tiefer gestimmten Gitarre ein Riff nach dem anderen raus – egal ob er die Saiten tonnenschwer oder flirrend schnell anschlägt. Die Übergänge sind nicht immer elegant, was auch für die Tempoverschärfungen in den Blastbeat gilt, aber die Riffs kommen stets im Zehnerpack.
Und sie packen: Egal, ob es jetzt der nach einem Horror-Intro einsetzende Opener “Pleasure Of Molestation” ist, das shuffelige “Exclamation Of A Necrofag”, das flott geriffte “Inferior Devoties” oder “Necronomicon”, bei dem der Herr über die Saiten auch eine zweite Stimme spielt. Wie schon auf dem Debüt nehmen die Schweden auch mal das Tempo ganz raus, um dem Song mit gezupften Gitarren und dezenten Keyboards etwas Epik zu verleihen. “Attachment To The Ancestor” ist so ein Fall, wo zudem ein Stimmengewirr den Eindruck der Geisterbeschwörung wiedergibt.
Stimmengewirr und kerniger Grunzgesang
Apropos Stimme: Der deutlichste Unterschied zu “Penetralia” liegt vermutlich in der Gesangsdarbietung von Masse Broberg: Der hat nicht nur kernigen Grunzgesang drauf, sondern zelebriert seine Texte nach allen Regeln der Kunst – vom kurzen gebellten “Ugh” über fieses Knurren bis hin zu einem besessenen Krächzen hat er jeden Tonfall drauf, der seine Texte angemessen in Szene setzt. Das ist äußerst vielseitig, auf seine Art auch eine emotionale Umsetzung, zumindest aber eine, die über Schema F weit hinaus geht. Zusammen mit seinem Faible für umgedrehte Kreuze und Schwarzmagie war es dann kein Wunder, dass er ein paar Jahre später unter dem Namen Emperor Magus Caligula Sänger von DARK FUNERAL wurde.
Unterm Strich ist “Osculum Obscenum” ein Album, das einen guten Eindruck hinterlässt: Weniger durch komplette Songs, denn die wirken durch die Vielzahl der aneinandergereihten Riffs und die teilweise unvermittelten Tempoverschärfungen nicht immer so homogen wie zuvor. Dadurch klingen sie aber auch etwas tiefgründiger als auf “Penetralia”. Zudem gibt es jede Menge Riffs, die im Ohr hängen bleiben. Nicht zu vergessen der exquisite Gesang, der den Stücken dann doch zu einem schwarzen Glanz verhilft.
Dass Sänger Masse Broberg bereits während der anschließenden Tour nach einer fiesen Infektion aus der Band ausschied, ist nicht ohne eine gewisse Tragik. Für HYPOCRISY (und ihn: siehe oben) ging es aber weiter: Die Band sprang ins kalte Wasser und absolvierte die restlichen Termine als Trio. Und Peter Tägtgren, der wieder einmal notgedrungen den Gesang übernehmen musste, fand schließlich über Umwege seinen ganz eigenen Stil. Das ist aber Stoff für weitere Artikel in unserer Blast From The Past-Klassikerreihe.
HYPOCRISY: And Then They Were Three
Zum Abschluss seht Ihr hier noch das Video zum Opener “Pleasure Of Molestation” – und falls Ihr Euch schon mal gefragt habt, wer das blonde Mädchen im Nachthemd ist, das da am Anfang diese Horrormelodie auf dem Klavier klimpert: Das ist Mikael Hedlunds Schwester. Wenn das deren Eltern gewusst hätten…
Klassiker! Danach gings abwärts….
Schwieriges Album. Das Positive vorweg: Die rohe, basslastige Produktion passt hervorragend und gibt dem Album einen gewissen Charme und Brutalität, die nicht jede Band so hinbekommt. Darüber hinaus steckt das Album voller Einflüsse, Ideen und guter Riffs. Die besten Momente hat das Album, wenn Entombed zitiert wird oder die Band ihre Thrash Einflüsse auslebt.
Das Problem mit dem Album ist aber, dass es bei guten Ideen bleibt, die Ausführung aber oft nicht stimmig ist.
Das Drumming tut sein übriges. Einerseits chaotische, ungetimte Blasts, dann zuviele 120bpm-Hammer-Blasts (die ich auch heute noch absolut nicht leiden kann), so dass innerhalb der Songs irgendwie die Kohärenz fehlt.
Bisschen weniger nach Übersee schauen hätte hier auch gut getan. Das alles kann man in Anbetracht der Zeit und der jugendlichen Ungestümtheit sicherlich verzeihen und der ein oder andere wird das sogar eher als Pluspunkt auslegen,
aber gemessen an anderen skandinavischen Releases dieser Zeit (die abgefahrene „Khaooohs“ von PAN.THY.MONIUM, das göttliche „The Winterlong…“ von GOD MACABRE, DEMILICHs „Nesphite“ oder auch ein Jahr später GOREMENTs „The Ending Quest“) ist das hier für mich kein Genreklassiker.
Bin auch überzeugt, wenn sich Hypocrisy nach dem Album aufgelöst hätten, würde deren Name irgendwo bei Bands wie Merciless, Excruciate, Comecon oder Internal Decay rangieren, die heuer auch weitestgehend vergessen sind.
Weil ich Hypocrisys spätes Schaffen durchaus schätze und ich bei aller Kritik dieser jugendlichen Ungestümtheit dennoch etwas abgewinnen kann, gibts wohlwollende 7 Punkte.
Für mich wurden Hypocrisy erst ab „Abducted“, dem vierten Album aus dem Jahr 1996, interessant. Mein persönliches Highlight ist das selbstbetitelte Album, das 1999 rauskam. Die Frühwerke fand ich nie so prickelnd.
Mir gefallen spätere Hypocrisy auch besser. Die Frühwerke sind halt „normaler“ Death Metal und wenn man da kein Faible für hat.. Ähnlich bei Amorphis und Sentenced.
Mit Distanz betrachtet ein durchwachsenes Album. Damals war das für mich neben etwa Cross the Styx, From beyond oder Tomb of the mutilated heißer Shice. Was hatte man schon, wenn man nur 1,5 ernstzunehmende Plattenläden vor der Nase hatte.
Legendär bis heute – den können wir im Freundeskreis noch heute präzise synchron mitgröhlen und freuen uns dabei wie Kinder – der Doppel-Uhhh bei Pleasure of molestation. Die Fotos sind tatsächlich auch ein Stück kultig, damals gehörten Sonnenbrillen unbedingtest (!) auf Bandfotos mit Anspruch und natürlich liefen wir auch mit solchen Teilen herum. Dass das Drumming teils stottert und holpert ist damals schon aufgefallen, hat aber einfach dazugehört. Die Gitarrenspuren sind vom Sound her deckungsgleich und damit oft nicht auseinanderzuhalten, sodass der Gitarrensound einfach gedoppelt wirkt (besonders zu erkennen zB beim Beginn von Infant Sacrifices). Der Bass ist ungewöhnlich präsent, fast schon auf Mortification-Niveau. Und ja, die verheißungsvollen Keyboard-Intros mussten damals auch bei jeder zweiten Band sein, die etwas auf sich hielt (siehe eben vorgenannte Sinister oder Massacre). Hach.
Die Album-Hits sind der Titeltrack, Infant sacrifices und natürlich Pleasure…
Nostalgische 9, heutige 7
großartiges album aus der frühen schaffensphase der band und bevor sie sich im verlauf in modernere gefilde verabschiedet hatten. ich mag tatsächlich beiden phasen der band.
Zu willkürlich, um über Songlänge, geschweige denn Albumlänge zu überzeugen. Technisch sauber – aber es bleibt zumindest für mich die Frage, was eigentlich transportiert werden soll.
Sorry – falsches Review.
Bis auf das „technisch sauber“ passt das hier trotzdem auch ganz gut hin, also alles gut 😀