Hypno5e - Shores Of The Abstract Line

Review

Galerie mit 16 Bildern: Hypno5e – Euroblast 2021

Zwischen Avignon und Montpellier im Süden Frankreichs sind vier Musiker auf der Suche: Staub, Hitze, Zypressen, Pinien und der Geruch von Trockenheit liegen in der Nasenhöhle – unterlegt von ewigzirpenden Zikaden. Rissiger Asphalt führt in flirrend verschwommene Landschaften, die das Ziel nur erahnen lassen. Es dem Suchenden konturlos und seltsam verzerrt vortäuschen.

„Shores Of The Abstract Line“ zeichnet die Schemen identifikationsstiftender Perspektiven, deren Verwerfung und ihre Neugestaltung. HYPNO5E vertont den Menschen, hin und her geworfen zwischen den Buchten seiner selbst. Als zielloser Steuermann irrt das Individuum aufgewühlt von Ost nach West, von Nord nach Süd.

„La sangre tiene razones“

Die Melodien winden sich durch das Labyrinth der schneckenförmigen Cochlea und tanzen sich durch Synapsen ins zentrale Nervensystem. Wuchtige, ungelenke, laut bellende Rhythmen stören die akustische Informationsverarbeitung. Sie versuchen die Melodie einzufangen, zu umstellen und zu bändigen – konterkariert von idyllischen Ruhephasen, die einen Reigen bilden, die unisono triumphierend ihre Reise durch den Gehörgang antreten, ehe sie, erneut eine Bresche schlagend, den Vestibularapparat herausfordern.

Wie eine sich entwirrende Kordel dröselt sich die verstrickte Wolle auf zu filigranen Fäden: Aus dem schwebend Ziellosen ragen streng gemeißelte Klangkaskaden auf wie Monolithen. Die Musik des französischen Quartetts fühlt sich an wie die Schilderung dessen, was zwischen Standfestigkeit gewährenden Ufern liegt: Ein von gewaltigen Wogen hin und her geworfener Kutter inmitten eines schwarzen Ozeans, versucht, der Naturgewalt zu trotzen, in Richtung des zirkulierenden Lichts eines fernen Leuchtturms. Ungewiss, ob er an den Riffs zerschellt oder die Sicherheit des Festlandes erreicht.

Das babylonische Motiv der Entfremdung durch Sprache inszenieren HYPNO5E auf „Shores Of The Abstract Line“, indem dreisprachig gearbeitet wird. Gleichzeitig funktioniert dieses Stilmittel auch zum Verdeutlichen eines globalen, menschlichen Phänomens der Spurensuche nach sich selbst. Die eigene kleine Boje in einem sieben Milliarden Individuen dichten Menschenmeer.

Das Sprachrohr dieser Suche ist Charles Bukowski. Immer wieder werden dessen Texte mit der Musik verwoben und bilden einen undurchdringlichen Gordischen Knoten. Die poetischen Erzählungen erscheinen als Hauptakteur und kleiden die Musik des französischen Quartetts in erschütternde Tristesse. Sie verdichten die Atmosphäre der Kompositionen und leiten den Hörer durch die Irrwege der HYPNO5E’schen Odyssee.  

„Beacause the world had failed us“

Exemplarisch für das Album werden im Folgenden zwei Songs behandelt: Die Rufe ferner Sirenen beginnen „Where We Lost The Ones“.  Eine geschundene Barke tritt den schwankenden Weg zu den verheißungsvollen Gestaden an, wo sich die verführerischen Rufe schnell als Maskerade entpuppen. Grässlich entstellte Gesichter treten in Dialog mit der schutzbedürftigen, aber anmutigen Besatzung. Ein Gespräch zwischen brüllend berstenden Rhythmen und diplomatischen Melodien kulminiert in den Worten Atahualpa Yupanquis. Diese überlagern trocken eine sumpfige Kakophonie und bilden eine Enklave der Melancholie, die das Eiland zu einem nebelverhangenen Morast werden lässt.

Es sind die nachhallenden Melodien und Harmonien, die sich aus dem Käfig des Metrums losreißen und nur einen flüchtigen Augenblick überdauern. Wie der betörende Duft eines kurz geöffneten Weins, der die Wahrnehmung vernebelt, ehe er wieder verkorkt und eingefangen wird. Dieser schimmernde Schleier olfaktorischer Essenz legt sich, umrahmend wie ein Passepartout, auf die von stiller Trauer gezeichneten Klaviermotive. Es sind jene Momente, in denen das Meer sich sanft über die Ufer drückt, bevor es von den treibenden Massen zurückverlangt wird. Es ist ein stetes Auf und Ab gigantischer Wogen, denen sich der Hörer auf „Shores Of The Abstract Line“ preisgeben muss. Die Kompositionen HYPNO5Es sind derart stimmig arrangiert, dass sowohl die sich aufbäumende Flut, wie auch deren schlängelnd thronende Schaumkrone hörbar ist.

„Blind Man’s Eye“ ist das finale Aufbäumen einer Naturgewalt. Wehrlos den peitschenden Massen preisgegeben, eilt der schiffbrüchige Hörer los, Schutz zu suchen. In den Schicksalsfäden der Moiren verfangen, reißt der unbarmherzige Styx den Ausgelieferten in die Fänge des Hades. Ein Klavier, hart angeschlagen, leicht verstimmt und immer in Bewegung, lässt die Sturmflut sacht verebben und Eos beginnt ihre Reise zu einem fahlen Morgen, dessen Glimmen eine trügerische Hoffnung spendet.

„When you clean up a city, you kill it!“

HYPNO5E behalten den „Schmutz“ musikalischer Themen und Motive und ergänzen ihn um den Staub, den man auf der Suche nach sich selbst hinterlässt. Im besten Sinne ist „Shores Of The Abstract Line“ ein schmutziges Album – zwar klingt es modern, drückend, glasklar, jedoch verlacht dessen Inhalt wahrhaft die glatte Welt digitaler Hochglanzproduktion. „Shores of the Abstract Line“ ist wie ein Möbiusband, dass mit jeder Umdrehung hypnotische Bilder einer ziellosen Suche entfesselt.

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15.02.2016

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7 Kommentare zu Hypno5e - Shores Of The Abstract Line

  1. Doktor von Pain sagt:

    Der Rezensent scheint das Album sehr zu mögen und hat sich damit offenbar auch ausgiebig beschäftigt. Dennoch lässt sich – zumindest für mich – aus dem sehr blumig geschriebenen Text kaum rauslesen, wie „Shores Of The Abstract Line“ wohl klingen mag. Unter den Vergleichen mit „geschundenen Barken“ und „Melodien, die sich durch das Labyrinth der schneckenförmigen Cochlea winden“ kann ich mir, obwohl ich ein fantasievoller Mensch bin, eher wenig vorstellen. Das Review zum 2012er Hypnose-Album „Acid Mist Tomorrow“ ist da schon deutlich aufschlussreicher. Nur so ein Tipp: In Zukunft weniger Posie, dafür mehr tatsächliche Infos einbauen – die sind echt nützlich bei einem Review.

  2. Doktor von Pain sagt:

    Gemeint war natürlich die Poesie. Danke für die fehlende Editierfunktion (und den nach wie vor miesen Captcha, wenn wir schon dabei sind).

  3. Coach sagt:

    Ich kann mich „Doktor von Pain“ vorbehaltlos anschließen: das Review ist episch schön zu lesen. Aber unter der Musik kann ich mir nix vorstellen. Wenn ich „Modern Metal“ als Genre lese KÖNNTE das in eine Brüllorgie ausarten, KÖNNTE, müsste aber nicht

  4. painintheass sagt:

    Ich schließe mich meinen beiden Vorrednern vorbehaltlos an: weniger rumgesülze, mehr Inhalt.

  5. Nachtwind sagt:

    Sehr schön Progressiv.. Für mich schon was zu heftig..
    Wird wohl Live nicht ganz so rüberkommen. 🙂

  6. Johsteiner sagt:

    Ich finde die Rezension top. Vollkommen richtig ist es, die Musik nicht im Detail zu beschreiben. Das würde einfach den Rahmen sprengen. Es reicht aus, dass es sich um Musik voller Emotionen und Poesie handelt, die sehr progressiv und sperrig ist. Das neue Album stellt für mich, auch wenn es noch weniger eingängig als die beiden ersten Werke ist, ein absolutes Highlight dar. Ich verstehe nicht, weshalb sich offensichtlich kaum jemand für die Musik interessiert.

    10/10
  7. LeMops sagt:

    Das beste, was ich bis jetzt gehört habe!

    10/10