Hypno5e - Sheol

Review

Sheol ist ein Begriff aus dem Tanach und meint – ganz vereinfacht formuliert – das Leben nach dem Tod. Nach diesem ist das hier vorliegende, neue Album der französischen Prog-Filmographen HYPNO5E benannt, was in diesem Zusammenhang natürlich einiges an Mutmaßungen hinsichtlich des Temperaments der Platte zulässt. Und vorneweg: Ja, das Album ist komplett in Melancholie getränkt. Inhaltlich ist „Sheol“ immer noch so dicht und schwermütig wie man es von den Lyonern nicht anders erwarten würde. Moll-Harmonien dominieren den Sound, jenseits der krachigen Momente gibt es viele, elegische Zupfereien auf der Akustischen oder anderen, organischen Instrumenten und eine Streicher-Sektion erhebt ihr klagend‘ Spiel immer wieder an den passenden Stellen.

„Sheol“ ergänzt „A Distant (Dark) Source“

Auch inhaltlich bleibt man der Melancholie treu, doch die lyrische Dichte kombiniert mit den bandtypisch eingestreuten, durchaus auch mal frankophonen Sprachsamples erzwingt praktisch die Zückung eines Lyric-Sheets zur Durchdringung der Materie.  Dabei bildet dieses neue Album einen konzeptionellen Kreis mit dem Vorgänger „A Distant (Dark) Source“, das bereits den zweiten Teil des Stückes „Tauca“ sein eigen nennt, während der erste Teil nun nachgereicht wird. Verwirrend? Nun ja, die Lyoner und speziell ihr Fronter Emmanuel Jessua sind schon immer etwas extra gewesen. Weiland suchte der Protagonist des Vorgängers nach den schattenhaften Spuren seiner Liebe am ausgetrockneten Lake Tauca, nun, ich paraphrasiere die Presseinfo, beginnt das neue Album dort, wo das Vorige geendet hat und endet dort, wo das Vorige begann.

Mit knapp 64 Minuten Spielzeit ist „Sheol“ bandtypisch umfangreich ausgefallen, was die Franzosen allerdings durch ihren intuitiven Sound, der seine Hörer einem packenden Filmdrama gleich von selbst mitreißt, gut managen. Der Sound der Herren ist nach wie vor diese interessante Kombination aus progressiven Kniffen und Phrasen, die in Post-Metal-typisches Songwriting eingebettet werden. Viel verändert hat sich dabei also nicht wirklich, vielleicht nur, dass „Sheol“ im Gegensatz zu seinem Vorgänger gleich mal mit einem massiven, undurchdringlichen Brocken in Form des zweiteiligen Titeltracks loslegt, an dem man schon mal eine ganze Weile zu knabbern hat. Aber hier zeigen sich auch wieder die Qualitäten der Band in bester Form, von den ruhigen, eindringlichen Parts hin zu den wuchtigen Ausbrüchen, die locker eine Furche durch einen gefrorenen Acker ziehen könnten.

Wieder liefern HYPNO5E schwermütige, dicht verwobene Klanggeflechte

Wer einen etwas entgegenkommenderen Zugang zum Sound von HYPNO5E sucht, findet diesen erst im folgenden „Bone Dust“, muss dafür aber glücklicherweise keine qualitativen Abstriche hinnehmen. Hier sind die ruhigeren Momente wieder wahre Sahnestücke, wenn es um die Erzeugung von Gänsehaut geht, gerne auch wieder mit den elegischen Streichern im Rücken. Und die GOJIRA-eske Eruption um die 3:12-Marke herum inkl. Legato-Riffs und den klaren und gebrüllten Vocals, die nach bester Duplantier-Art  übereinander gelayert daher kommen, sind mindestens mal einen Chef’s Kiss wert. Nicht falsch verstehen: Auch hier wird der Hörer wieder zwischen den Ufern Atmosphäre und Aggression hin- und hergeworfen, aber es passiert in einer deutlich gemäßigteren Frequenz und mutiert folglich zum Anspieltipp für Einsteiger.

Schrieb einer der Vorredner seinerzeit zu „Shores Of The Abstract Line“, dass die Musik der Lyoner im wesentlichen ein stetes Auf und Ab von massiven Wogen sei, so ist diese Metapher auch anno 2023 mehr als treffend. Eine gigantische Wall Of Sound baut sich vor dem geistigen Ohr des Hörers auf und verzwergt ihn förmlich, nein: sie kollabiert regelrecht über ihm und begräbt ihn komplett unter sich. So derart körperlich inszenieren HYPNO5E ihre Ausbrüche. Allein durch Klarheit und Knackigkeit der Produktion bleibt der Sound dabei komplett frisch und unverbraucht, selbst wenn man das Gefühl hat, diverse Phrasen schon einmal in früheren Leistungen der Band gehört zu haben. Dazu gehört natürlich auch, dass praktisch jeder in der Band, auch der neue Schlagzeuger Charles Villanueva, absolut virtuos arbeitet.

Ein Hörerlebnis zum leidenschaftlichen Sich-Festbeißen

Die einladende Schönheit auf der einen, die schiere, ja: monströse Urgewalt auf der anderen Seite – das beides sind die Aspekte, die den Sound der Franzosen seit jeher ausmachen und die teilweise auch bedeutungsvoll überlappen. Sei es das etwas näher am Post-Metal gebaute „The Dreamer And His Dream“ oder der abschließende Zweiteiler „Slow Steams Of Darkness“: Hier steht immer die Inszenierung des Sounds in einer geradezu cineastischen Manier an vorderster Stelle. Das ist natürlich auf Empfängerseite sehr fordernd und daher auch nicht für jeden Magen bekömmlich, was auch absolut legitim ist. Aber wer den Mut und die Zeit hat, sich auf „Sheol“ einzulassen, wird es nicht bereuen.

Vielleicht doch, denn möglicherweise wird das Album einen so schnell nicht mehr loslassen …

24.02.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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