
Mit dem selbstbetitelten Debüt ist HIMMELKRAFT ein ganz besonderes Kabinettstückchen gelungen: Sie haben ein wahres musikalisches Chamäleon geschaffen: Als Gesamtkunstwerk genossen wandelt sich der Charakter des Album je nach persönlicher Stimmungslage des Zuhörers so radikal, dass es mal als sperrig-depressiver Trauerklumpen, dann wieder als hochmelodischer Hoffnungsträger wahrgenommen werden kann. Das macht die kritische Einordnung zwar enorm schwierig, unterstreicht aber die emotionale und musikalische Vielschichtigkeit des Werks und seines Schöpfers.
Bei HIMMELKRAFT darf sich Tony Kakko richtig austoben
Dass sich hinter HIMMELKRAFT keine blutigen Anfänger, sondern echte Könner mit viel Erfahrung verbergen, ist offensichtlich. Tatsächlich handelt es sich um ein Nebenprojekt von SONATA ARCTICA-Kreativkopf und Sänger Tony Kakko, dessen charismatischer Gesang vollkommen unverwechselbar ist. Wo seine Hauptband zum Bedauern einiger Fans ihre experimentellen Prog-Eskapaden spätestens seit „Stones Grow Her Name“ nahezu komplett hinter sich gelassen haben, scheint es Tony Kakko zu genießen, diese bei HIMMELKRAFT umso konsequenter ausleben zu können. Da bleibt neben grandiosen Melodiebögen auch immer wieder Raum für gezielt eingesetzte Dissonanzen und schräge Zwischentöne, die sich mit epischem Orchesterpathos die Klinke in die Hand geben.
Thematisch zeichnet „Himmelkraft“ eine Alternate-History-Dystopie im Fahrwasser postnuklearer „Fallout“-Visionen, die einerseits klar von Steampunk– und Dieselpunk-Motiven inspiriert ist, aber auch Bezug auf reale Figuren wie die deutsche Chemikerin Clara Immerwahr nimmt. Was im ersten Moment eskapistisch anmutet, lässt immer wieder Parallelen zur realweltlichen Politik aufblitzen, wie in Gestalt der fragwürdigen Kernkraftgläubigkeit in „Uranium“ oder dem in kontrafaktischen Zeiten allzu sprechenden „Fat American Lies“, das auf der musikalischen Seite mit einem gleichermaßen kurzen wie genialen Westerngitarren-Zwischenspiel überrascht. Mit einem feinen lyrischen Gespür bringt Tony Kakko damit auch komplexe Themen wie das immer weitere Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich aufs Papier, die er in „Dog Bones“ aus dem Blickwinkel der unterschiedlich gefüllten Esstische beleuchtet – Klassenkampf im kulinarischen Gewand gewissermaßen.
Ein Sound wie unsere realweltlichen Zukunftsaussichten
Die Musik, die Tony Kakko in den mythisch überhöhten „Himmelkraft“-Konzeptstorymantel wickelt, weist natürlich unüberhörbare Paralleln zu seiner Hauptband auf. Dennoch bestätigt sich der Eindruck, dass der Komponist hier wesentlich befreiter agieren kann als bei SONATA ARCTICA, wo die Erwartungen der eigenen Fans den kreativen Spielraum stärker einschränken. Das Händchen für außergewöhnlich starke Melodien, die den Zuhörenden lieber mal eine akustische Wendung mehr zumuten als sich in allzu trivialen Banalitäten zu verlieren, zählt auch bei HIMMELKRAFT zu den Stärken. Einen sich mit maschineller Beharrlichkeit zur majestätischen Refrainhymne aufschwingenden Midtempo-Stampfer wie „Full Steam Ahead“ würde man bei SONATA ARCTICA hingegen nicht erwarten. Überhaupt dominieren schleppend-monotone Grundrhythmen das Geschehen, was die trostlose Seite des dystopischen Settings effektvoll unterstreicht.
Demgegenüber stehen aber auch etliche hoffnungsvolle Ansätze, wenn sich die Menschheit aus ihren endzeitlichen Untergrundtunneln zurück an die Oberfläche kämpft, um endlich wieder frische Luft zu atmen und eben die Kraft des Himmels in Gestalt der wärmenden Sonne zu spüren. In der zweiten Albumhälfte fühlt man sich folgerichtig immer häufiger an staubige Italo-Western-Soundtracks erinnert, die ihrerseits für grenzenlose Freiheit und endlose Weiten ebenso stehen wie für trostlose, menschenverlassene Einöde. So ist der Sound von HIMMELSKRAFT vergleichbar mit den Zukunftsaussichten unserer realen Welt: Auf den ersten Blick eher trüb und bestenfalls im gesundheitsschädlichen Sinne strahlend – bei genauerer Betrachtung jedoch durchzogen von kleinen, hell leuchtenden Inseln der Hoffnung. Was wir daraus machen, ob wir uns letzten Endes in unterirdischen Tunneln verkriechen oder über grüne Wiesen wandern wollen, liegt in unser aller Hand.
Ein gutes Album. Wer mit Tony Kakkos Stimme bei Sonata Arctica nichts anfangen, wird hiermit wohl auch nicht warm werden.
Ab und an hört man auch musikalisch Parallelen heraus.
Insgesamt ist dieses Album jedoch gelungener als die letzten Alben von Sonata Arctica
Besonders herausstechend und berührend finde ich ausgerechnet den letzten Song 🙂