Zwanzig Jahre Bandgeschichte, vierzehn Alben. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Was man den Briten HEY COLOSSUS ihrem instabilem Lineup zum Trotz definitiv nicht vorwerfen kann, ist, dass sie auf der faulen Haut säßen. Die Presseinfo schreibt dem neuen Album „In Blood“ eine Charakteristik als Pandemie-Werk der Band um Gründungsmitglieder Robert Davis und Joe Thompson zu. Diese Art Narrativ wird uns wohl noch eine ganze Weile begleiten, ergibt jedoch bei einer live durchweg aktiven Band wie dieser hier natürlich Sinn. Wenn eine solche Band also in die eigenen vier Wände zum Schmoren gezwungen wird, so folgert die Presseinfo sicher nicht ganz zu unrecht, dann müsste doch große Kunst rauskommen.
Hooks sind nicht die Stärke von HEY COLOSSUS
Nun, das löst das neue Album leider nicht ganz ein. Die Genreeinordnung der Presseinfo bezeichnet „In Blood“ als Mix aus Noise-Rock, Psychedelic, Post-Punk und Alternative. Das ist ein netter Euphemismus für „PLACEBO mit Fuzz-Gitarren“, denn auf den ersten Hör klingen HEY COLOSSUS erst einmal wie eine etwas verzerrtere Variante ihrer deutlich prominenteren Landsmänner hin zum Gesang von Paul Sykes, dessen Organ im weiteren Sinne an den Gesang Brian Molkos gemahnt, wobei Sykes‘ Stimme ein My tiefer gerät. Vor allem hat der Rock, der auf „In Blood“ gespielt wird, aber wenig mit Noise-Rock zu tun. Ein paar verschnupfte Chords hier und da sowie besagter Fuzz-Verzerrung allein rechtfertigen dieses Etikett zumindest meiner Meinung nach nicht wirklich.
Wer angesichts der obigen Beschreibung denkt, dass „In Blood“ per Definition ungenießbar ist, irrt angesichts einer Platte, die trotz ihrer Bodenständigkeit ein paar Tricks auf Lager hat. Diese stecken hauptsächlich unterhalb der Oberfläche und tummeln sich eher in der zweiten Albumhälfte. Zunächst einmal sind Hooks nicht die Stärke der Briten. Das ist speziell zu Beginn der Trackliste ein Problem, wenn der Dosenöffner „My Name In Blood“ beispielsweise zu lange braucht, um in Fahrt zu kommen, oder das folgende „I Could Almost Care“ etwas zu nah am PLACEBO-Wasser gebaut scheint. „Perle“ lässt einige ARCTIC MONKEYS-Riffs á la „Crying Lightning“ durchscheinen, verfolgt diese Schiene aber nicht allzu konsequent und lässt auch ein bisschen den Impakt missen.
Da klappt es bei den stimmungsvolleren Cuts deutlich besser
Deutlich interessanter gerät „In Blood“ aber dann, wenn sich HEY COLOSSUS eher in atmosphärisches, Jam-freudiges Territorium vorwagen. Hier setzen vor allem „Curved In The Air“ und „Avalon“ dicke Ausrufezeichen und zeigen die eigentlichen Stärken der Briten auf, von der tontechnischen Stimmungsmache, angefacht von der stilsicheren wie raumgreifenden Produktion bis hin zu den wunderbaren Gesangsharmonien, die genau in den richtigen Momenten die richtigen Nadelstiche setzen. Diese Stärke wirkt den anfänglich etwas faden Ersteindruck der Platte also glücklicherweise wieder auf, sodass „In Blood“ letzten Endes doch noch zu einem versöhnlichen Ende findet.
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