Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
Politische Bands sind immer ein bisschen mit Vorsicht zu genießen und da machen selbst Kapellen wie HENRY COW keine Ausnahme. Rein musikalisch zumindest stellt sich bei denen die Frage weniger. Die Briten traten ihrerzeit als Progressive-Rocker in Erscheinung, die eine Menge Jazz-Einflüsse in ihren Sound integriert haben. Und das äußerte sich auch regelmäßig in ihren Ausflügen ins Improvisatorische.
Gleichzeitig unterhielten die Damen und Herren unter anderem eine Freund-/Partnerschaft mit der deutsch-britischen Art-Pop-Band SLAPP HAPPY, die zu einem gemeinsamen Album namens „Desperate Straights“ führte. Und das hatte Erfolg, der wiederum zur wiederholten Zusammenarbeit führte. Das Ergebnis: Das hier vorliegende „In Praise Of Learning“ von 1975, das wohl politisch einschlägigste Werk von HENRY COW, für die Kunst kein Spiegel, sondern eher ein Hammer war.
HENRY COW spielen linksdrehenden Jazz-Prog…
Und mit SLAPP HAPPY kam Sängerin Dagmar Krause zu HENRY COW, um letzten Endes auch nach dem Ende ihrer einstigen Stammband dort zu bleiben. Mit Gesang bekam die politische Gesinnung der britischen Jazz-Proggies auf „In Praise Of Learning“ ein Sprachrohr, das die linksgerichteten Inhalte zudem noch mit einem unverkennbar teutonischem Pathos transportiert.
Man kann an dieser Stelle natürlich über die zum Teil recht schroffen Phrasen, die Frau Krause hier drischt, streiten. Und das soll man natürlich auch können. Doch man kann die Energie und Wucht, die Krause den Texten mit ihrer Artikulation verleiht, nicht absprechen. Sie singt gerade deutsch-akzentuiert genug, um die Härte der Worte mitschwingen zu lassen, aber dennoch ausreichend elegant-englisch, um nicht der Lächerlichkeit oder schlimmer noch: der Plakativität anheimzufallen.
… mit einem wuchtigen, weiblichen Sprachrohr
Und Eleganz wird in dem deutlich englisch klingenden Prog von HENRY COW auch groß geschrieben. Genosse Jazz und sein Klavier stehen im Mittelpunkt, sind aber in ein luftiges Rock-Gewand gekleidet, das ihnen zu keinem Zeitpunkt die Luft abschnürt, ihnen aber als rhythmisches, treibendes Korsett dient. Der Stechschritt im Viervierteltakt bleibt dabei zum Glück aus, die Rhythmik ist definitiv freigeistig und mitunter auch freiförmig unterwegs, besonders in den improvisatorischeren Momenten.
Dabei sind einige der rockigeren Ausbrüche dennoch sehr heavy und aggressiv ausgefallen. Zunächst beginnt das Album mit dem vergleichsweise leicht verdautlichen Rocker „War“, der mit galoppierendem Rhythmus und spöttischem Gesang daherkommt. Ein bisschen ulkig muten diese eröffnenden Klänge schon an, zumindest auf dem ersten Blick.
Dem Song folgt dann das sowohl musikalische wie auch inhaltliche Kernstück „Living In The Heart Of The Beast“ auf dem Fuße, das einerseits die enorme, musikalische Bandbreite von HENRY COW zur Schau stellt, andererseits die wohl deutlichsten Textzeilen des Albums enthält, was den politischen Kern der Band im Allgemeinen und dem Album im Besonderen angeht. Der Song windet sich durch unterschiedliche Stimmungen und wandelt sich von rockig-rotzige über jazzig-atmosphärische Passagen hin zum dramatischen Finale von geradezu elegischem Ausmaß.
Damit ist „In Praise Of Learning“ nicht Jedermanns Sache
Deutlich gedrängter aber nicht minder monumental gestaltet sich „Beautiful As The Moon – Terrible As An Army With Banners“. Der Song schwingt vor allem die atmosphärische Keule und erreicht das mit raumfüllenden Klaviertupfern und expressivem Schlagzeugspiel. Umso effektiver gestaltet sich dann der Part, in dem der Track anschwillt, die Melodien plötzlich bedrohlicher werden und sich selbst das Schlagzeug nun deutlicher aufdrängt.
Mit „Beginning – The Long March“ und „Morning Star“ tummeln sich schließlich noch zwei eher improvisatorische Stücke auf der Trackliste, die in Sachen Stimmung definitiv ihre jeweilige Wirkung erzielen. In ihrer Eigenschaft als Improvisationen ist es aber auch schwer, mehr darüber zu sagen.
Im Grunde kann man sie also unkommentiert stehen lassen. Den lyrischen Zündstoff hinter „In Praise Of Learning“ lohnt es sich aber, ausreichend zu diskutieren, da dieser durch so Schlagworte wie „Rise Up“ schon rebellische Züge aufweist. Ja, das war ungefähr die Zeit, als der Punk gerade sein Upgrade vom „Quark im Schaufenster“ erhalten hat. Und überdies ist ein „In Praise Of Learning“ ein Album, das der Würstchenparty, die „Blast From The Past“ bislang gewesen ist, unter anderem eine mächtige, weibliche Stimme entgegensetzt. „In Praise Of Learning“ ist somit definitiv ein streitbares Album, aber auch eines, das in seiner ganz eigenen Art und Weise musikalische Grazie ausstrahlt.
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