Die Japaner von HEAVEN IN HER ARMS beschreiben ihre Musik selbst als Post-Hardcore und werden damit ihrem eigenen Album „White Halo“ nicht ansatzweise gerecht. Viel zu komplex sind die sieben epischen Songs, viel zu künstlerisch die liebevoll detaillierten Interludes und Instrumentalpassagen und schon der erste richtige Song „Tsuki Niji To Shintan/Abyss Of The Moonbow“ stürmt, nach einem verstörend depressiven Intro, eher stark black-metallisch und ungestüm aus der Anlage.
Dazu gesellt sich dann schnell leidenschaftlich gutturaler Gesang von Kent, der zwar sowieso nicht zu verstehen wäre, durch die japanischen Texte aber noch fremdartiger klingt. „White Halo“ ist mächtig, voll von unterschiedlichen Einflüssen und folgt doch einer ganz eigenen Handschrift. Es wird gewütet, gelitten und nach dem Sturm ganz ruhig und friedlich geatmet.
Vor lauter Bäumen kein Wald zu sehen
HEAVEN IN HER ARMS arrangieren sehr vielschichtig und obwohl Qualität und Können den Hörer förmlich anspringen – der Drang „White Halo“ immer wieder hören zu wollen, bleibt relativ gering. Dabei ist alles stimmig, jedes noch so marginale traditionelle Facette, jeder Hauch von Ambient und jede Raserei hat Hand und Fuß. Mein hört vor lauter Bäume den Wald nicht und noch dazu scheint sich „White Halo“ auf seltsame Art und Weise in unterschiedlichen Situationen und zu verschiedenen Tag- und Nachtzeiten anders zu präsentieren.
Geduld für Songs zwischen sechs und zehneinhalb Minuten aufzubringen, ist schwierig, wenn der große Kick oder das schmissige Main-Riff fehlt. Ähnlich wie ihre Heimatstadt Tokyo, ist das Album übersät von schillernden Eindrücken und regt im ersten Moment eher zum Hassen statt zum Lieben an.
Direkt neben dem „Wow“ schwebt das Fragezeichen
Nach und nach entdeckt man aber die bereits angesprochenen Feinheiten, hat sich gewöhnt an die großangelegten Passagen und weiß grob, was kommt. Trotz mehreren Durchläufen bleibt man allerdings noch meilenweit davon entfernt, das Konzept richtig zu interpretieren. „Shuuen No Mabushi Sa/Glare Of The End“ startet mit einem lähmenden Lullaby, spielt die komplette Gefühlspalette einmal durch und saugt dem Hörer richtiggehend Energie ab. Wer schon die vorherigen Alben von HEAVEN IN HER ARMS kennt, hat natürlich einen kleinen (Gewöhnungs-)Vorsprung und wird sicher begeistert sein.
Polyrhytmische Drums von Rocky, knurrender Bass und Gitarrentöne, die sich mit Lichtgeschwindigkeit durch das HEAVEN IN HER ARMS-eigene Labyrinth schießen, dazu Spoken-Word-Passagen im Wechsel mit Gekeife und Doublebass … – das sind knappe acht Minuten imposantes Drama, mit bedrückender Ernsthaftigkeit vorgetragen und hierbei handelt es sich noch um den eingängigsten Song.
Unterm Strich ist „White Halo“ sicher schlicht zu anspruchsvoll für die ungeduldigen Durchschnittshörer. Die Zielgruppe, die sich mehrfach durch die erst verwirrende Irrfahrt zwingt, weil sie willens ist den Anspruch zu würdigen und die Schönheit zu entdecken, wird leider klein bleiben. HEAVEN IN HER ARMS werden für RED APOLLO eröffnen, eine gute Möglichkeit für Unwissende, die Band mal anzuschnappen.
Ich teile Eure Meinung nicht im Geringsten.
Für mich ein Meilenstein voller Hits und magischer Momente und das Album des letzen Jahres.