Harpyie - Voodoo

Review

Das bisherige Schaffen von HARPYIE wurde innerhalb der Metal.de-Redaktion reichlich kontrovers diskutiert. Und wo ich persönlich dem Debüt der Ostwestfalen noch besonders wenig Liebe entgegenbringen konnte, haben sich die Vogelmenschen in den vergangenen zwölf Jahren doch amtlich gemausert (höhö, Wortspiel, ihr versteht…?). Mit ihrem inzwischen achten Album „Voodoo“ haben sich HARPYIE einen Erstligaplatz im Reigen der relevanten Mittelalter-Bands verdient. Anstatt die reine Sackpfeifen-Lehre zu predigen, wählt die Band (in deren Instrumentarium zwar eine Drehleier, aber kein Dudelsack auftaucht) hingegen einen moderneren Ansatz und reichert ihre Stücke mit tanzbarem Disko-Pop und harten Industrial-Beats an.

HARPYIE liefern Ohrwurm-Hits mit und ohne Gastgesang

Die stilistische Offenheit spiegelt sich auch in der Wahl der Gastmusiker wieder. Für den Opener und Titeltrack „Voodoo“ steuert der walisische Sänger Benji Webbe Gesangsparts bei, der aufgrund seiner karibischen Wurzeln nicht nur besonders überzeugend den Baron Samedi gibt, sondern mit seiner Band SKINDRED auch selbst besonders lustvoll die musikalische Grenzüberschreitung zelebriert. Der Geisterhymne „Omen“ verleiht hingegen der YouTuber Kalle Koschinsky eine mitgröltaugliche Ballermann-Schlagseite, die mir weitaus besser gefällt als ich öffentlich zuzugeben bereit bin. Dass sie jedoch auch ganz alleine in der Lage sind, fiese Ohrwurm-Hits zu fabrizieren, beweisen HARPYIE mit Stücken wie dem Anti-Kriegs-Lied „Nimmerland“ oder dem religionskritischen „Ikonoklast“.

Auch mit Blick auf die Liedtexte hat sich seit dem „Blindflug“-Debüt viel getan, der grauselige Fremdschämfaktor wurde erfolgreich eliminiert und ist wenig subtilen, aber ausdrucksstarken Texten gewichen. An wortgewaltige Szenegrößen wie SALTATIO MORTIS oder gar die lyrischen Überflieger VERSENGOLD reichen HARPYIE natürlich bei weitem nicht heran. Dafür zeigt die Entwicklung der Band interessante Parallelen zu einer anderen Band, die den Wandel von einem eher fragwürdigen Frühwerk hin zum echten Hit-Garanten geschafft hat; die Rede ist natürlich von FEUERSCHWANZ. Doch obwohl diese auf ihrem 2020er „Das Elfte Gebot“-Album ein Stück gleichen Namens präsentierten, handelt es sich bei der HARPYIEschen „Schildmaid“ nicht um ein Cover, sondern um eine Eigenkomposition, die immerhin den Spirit der Erlanger perfekt repliziert.

Fetter Groove meets Drehleier

Die größte Stärke von „Voodoo“ ist zweifellos der fette Groove, der sich von den ersten Takten des Titelstücks an als roter Faden durch das gesamte Album zieht. Zwar weicht die aggressive Tanzbarkeit der ersten Stücke in der zweiten Albumhälfte immer wieder etwas ruhigeren Momenten, der durchwegs hohen Qualität tut dies aber keinen Abbruch. HARPYIE haben mit „Voodoo“ ein absolut überzeugendes Stück Musik abgeliefert, das ich der Band bei meinem Erstkontakt vor zwölf Jahren niemals zugetraut hätte. Manchmal lohnt es sich eben, Bands eine zweite Chance zu geben, die man ursprünglich fest in der dritten oder vierten Reihe ihres jeweiligen Genres verortet hätte.

By the way – weiß eigentlich jemand, was mittlerweile aus SPIEGELKELLER geworden ist…?

31.10.2024
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