„Willkommen in der Freakshow!“
Im Vorfeld wurde bereits viel Wind von den Sturmvögeln und ihrer tollkühnen Crew um das neue Album „Freakshow“ gemacht. Kritiker würden womöglich fragen: Braucht die Welt eine weitere Veröffentlichung von einem an Sportfreunde-Stiller auf Ecstasy erinnernden Sänger kombiniert mit einer seltsamen Mischung aus mittelalterlichen Instrumenten und modernem Metal? Lohnt sich der ganze Aufwand? Die Antwort ist denkbar einfach: Ja!
Was HARPYIE mit „Freakshow“ abliefern, ist einerseits ein sehr eigenständiges Werk mit einem interessanten und aufwändigen Konzept, andererseits eine musikalische Fortführung und in vielen Belangen Steigerung alter Bandwerte. Dabei ist das Thema des Albums, wie der Titel schon verrät, die Freakshow, eine Art morbider Zirkus und generell „Geschöpfe der Nacht“. Aufmachung und Booklet aufwendig und gleichermaßen ansprechend gestaltet von Andre Freitag – der dürfte den meisten unter anderem Namen bekannt sein, nämlich Aello die Windböe. Gesanglich ebenso polarisierend wie der Rest der Band, stellte sich zu Beginn der HARPYIEn-Karriere so mancher die Frage: Kann er nicht singen oder ist das Stil? Spätestens Freakshow beweist nun, dass es sich tatsächlich um Stil handelt, der auf dem neuen Album noch einmal weiterentwickelt wurde. Aello liefert eine starke Leistung, die neben dem bekannten Harpyie-Sound auch neue Variationen einführt, ein wenig abwechslungsreicher noch und insgesamt verbessert im Gesang. Wie sieht es darüber hinaus musikalisch aus? Trotz Konzept wird hier definitiv kein Stilbruch begangen! Weiterhin dominieren Geige und Dudelsack, die gemeinsam mit dem frischen Metal die spezifische Mischung der HARPYIEn ergeben. Dabei ist auffällig, dass alles sehr viel Triebkraft aufweist, die Platte schreit regelrecht nach einer Live-Umsetzung (z.B.: „Monster“ oder „Der Schwarze Mann“). Gänzlich fehlt eine Ballade, die zwar gerade bei der düsteren Thematik wünschenswert gewesen wäre, der Sache aber auch keinen größeren Abbruch tut.
Textlich bleiben die Musiker weiterhin humorvoll, allerdings erneut mit ernstem Unterton und tiefgründiger als man auf den ersten Blick vielleicht erwarten mag. Ein Beispiel hierfür wäre die mitreißende, charismatische Eröffnungsnummer „Freakshow“, die bei aller Energie und Humor am Ende die Wendung zu einer moralischen Toleranz-Botschaft nimmt (Textzeile: „Und ein Rätsel ganz zuletzt, wer ist der Mensch und wer der Freak. Ausgestoßen und vertrieben, übers ganze Land gehetzt, und jedem einzelnen von ihnen wurde jäh das Herz verletzt! Als Laune der Natur geboren, auch wenn es nicht ihr Wille war, doch hätts der Zufall so gewollt, dann wärst du das Exponat!“). Diese Mischung aus Ernst und Sinn ist es, die nahezu das gesamte Album ausmacht, in dem die Songs aus wechselnden Perspektiven von unterschiedlichen „Freaks“ gebracht werden. Auffallend dabei sind die größtenteils kreativen Reimstrukturen, die oftmals gängige Sprichworte verändern und viel Einfallsreichtum aufweisen.
Die stärksten Song des Albums sind für mich, neben dem Opener, die ziemlich krasse Nummer „Elisa“ aus Sicht eines Frauenmörders (Link zum Musikvideo unten), der humorvoll-morbide Song „Dunkle Wissenschaft“ und die Frage-Antwort-Mitsing-Nummer „Der schwarze Mann“, das Werk weist aber viele weitere gute Tracks auf. Ansonsten ist zumindest Text oder Musik ansprechend.
Einziger Kritikpunkt ist für mich das Fehlen eines Crossovers. Haben die HARPYIEn mit „Jericho“ und dem Musikvideo zu „Sturmvögel“ noch so richtig schön polarisiert, provoziert, aber eine sinnvolle Botschaft gesendet, bleiben sie auf „Freakshow“ eher genretreu. Ein weiteres „Oha!“-Erlebnis wäre hier wünschenswert gewesen. Allerdings hat die Botschaft überlebt, weshalb auch das absolut verzeihbar bleibt.
Insgesamt bekommt der Hörer mit „Freakshow“ ein durchwegs solides Album im Zeichen des New Medieval Rock mit tollem Konzept, das überdies viele Highlights aufweist, dazu viel Humor und gleichzeitig Tiefgründigkeit. Oder anders ausgedrückt: Wo andere wollen und nicht können, machen HARPYIE einfach. Bitte weiter so!
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