Bereits in die zweite Runde gehen die französischen HACRIDE, und sie ließen es sich auch auf „Amoeba“ nicht nehmen, einfach das zu tun, wonach ihnen ist – ohne Rücksicht auf kommerzielles Kalkül oder Fanwünsche. Das Quartett geht seinen progressiv-avantgardistischen und experimentellen Pfad unbeirrt weiter. Und das ist auch gut so. Ähnlich wie schon auf dem Debüt „Deviant Current Signal“ zeigen sich die Herrschaften extrem facettenreich und springen munter durch sämtliche Metalstile. Death, Thrash, Prog, ja gar Folk – alles geht. Hauptsächlich aber bewegt man sich in der Nähe von MESHUGGAH, STRAPPING YOUNG LAD, TEXTURES und DEATH.
Was HACRIDE aber so besonders macht, sind die vielen kleinen Besonderheiten, mit denen sie den Hörer verblüffen. Da folgen auf Blastattacken schon mal Akustikgitarren-Eskapaden der etwas anderen Art, dann wird polyrhythmisch und polymetrisch Hirngulasch gekocht, und ganz bunt wird es mit dem OJOS DE BRUJO-Cover „Zambra“. Auf arschcoole Art wird hier spanisch-metallisch der Crossover gefeiert. Headbanger, schnappt euch die Castagnetten, arriba! Es macht einen tierischen Spaß, am Einfallsreichtum der Band teilzuhaben. Man wartet regelrecht auf das nächste irrwitzige Break, die nächste Spielerei, den nächsten Fremdexkurs, die nächste Virtuosität. Wann kommt die nächste, wunderschön verträumte Passage? Oder die nächste Knüppel-Ohrfeige?
Was im Vergleich zum Vorgänger auffällt, ist die songlastigere Ausrichtung und die oftmals ausgeprägter demonstrierte Liebe zu MESHUGGAH. Auch in puncto Vocals hat sich einiges gebessert, so sind die Brüllvocals beispielsweise nicht mehr so penetrant hochfrequent, und obendrein haben auch noch kraftvolle, melodische Shouts den Weg in HACRIDEs Sound gefunden. Leichter verdaulich ist „Amoeba“ deswegen noch lange nicht. Im Gegenteil: der Proband wird fast eine Stunde lang ordentlich gefordert. Hirnfick trifft auf Verträumtheit, schöne Melodien kollidieren mit mächtigen Gitarrenfelsen, Filigranität tanzt mit dem Vorschlaghammer Polka – alles schön durcheinander, mal abwechselnd, mal gleichzeitig. Am Ende stehen aber trotz kompositorischer und ingredienzieller Komplexität durch die Bank spannende, schlüssige Songs. Ein großer Sound, der die betulichen Passagen kaleidoskopartig glasklar funkeln lässt und in den harten Phasen die Hosenbeine flattern lässt, darf da nicht fehlen. Auch hier hat man sich für das qualitativ Höchstmögliche entschieden.
Knüppelfanatiker mit offen angelegtem Geschmack sollten sich dieses Meisterwerk der Marke „Extremmetal 2007“ schleunigst in die Regale stellen, denn „Amoeba“ ist zukunftsweisend und respekteinflößend.
Nach dem Review ist der erste Druchlauf enttäuschend. "Zukunftsweisend und respekteinflößend"? Da hatte ich mir schon noch mehr erhofft. Meshuggah und SYL mögen ja als Inspiration gedient haben, erreicht werden sie noch nicht ganz – und dieses Album ist ein gutes Stück davon entfernt, selber Inspirationsquelle zu sein, sonst würde "Zambra" nicht so herausragen (wobei es auch zu denken geben könnte, dass der beste Song eine Cover-Version ist…). Über weite Strecken bolzen Hacride hier technisch wirklich gut vor sich hin, ohne dabei mehr als die Summe ihrer Teile zu sein – in Sachen Atmosphäre nur guter Modern-Metal-Standard. Auch den Sound finde ich nicht sonderlich überragend/innovativ, wenn ich bedenke, dass die oben genannten Bands sowas schon länger machen. Das Songwriting ist vertrackt – das war’s dann auch schon fast. Unterm Strich reiht sich die Band zusammen mit der Relapse-Band The End auf gutem Niveau – allerdings halt hinter den Referenz-Künstlern – ein.