H.E.A.T - Tearing Down The Walls

Review

Galerie mit 13 Bildern: H.E.A.T. - Indoor Summer Festival 2022

Ich halte Nationalismus für eine durchaus alberne Sache, bei der der WM hänge ich mir keine Fahne an den Fahrradkorb und stolz bin ich höchstens auf meinen exzellenten Musikgeschmack. Ob ich das als Schwede allerdings genau so sehen würde, darüber komme ich zusehends ins Zweifeln, schließlich scheinen der Nordmann und seine Frau generell musikalisch geschmackssicher zu sein. Nicht nur, dass unter dem Glanz der drei Kronen ohnehin schon grob geschätzte 66.6 % aller relevanten zeitgenössischen Rockbands geboren werden – jetzt schaffen es die Kollegen da auch noch, das ansonsten alle Sinne routiniert beleidigende Format der Casting-Show im Sinne des kulturellen Mehrwerts zu adeln.

Während bei uns Dieter Bohlen junge Menschen vorführt, um am Ende irgendein Träller-Produkt mit Blick auf die wehrlose Zielgruppe U-16 auszukotzen – Entschuldigung, die 99-Luftballons-Eso-Tante mit ihrer ernsthaften Variante ist natürlich ganz anders -, küren die Skandinavier einen jungen Mann zum Star, der, nun ja, der wirklich und wahrhaftig rockt. Erik Grönwall nämlich sieht zwar aus wie eine Mischung aus dem jungen Bill Idol und Bill Kaulitz, singt aber wie ein junger Gott und gehört seit nun zwei Alben den überaus erfolgreichen H.E.A.T an.

Diese liefern auch auf „Tearing Down The Walls“, Album Nummer Vier, einen frisch aufpolierten Galopp durch die 80er und frühen 90er, der zwischen Melodic Rock und AOR zwar rein gar nichts neu erfindet, aber gerade dadurch alles richtig macht. Grönwall fabriziert in Tateinheit mit dem sehr selbstbewussten Keyboard Ohrwurmmelodien Galore, die äußerst dynamisch immer einen Millimeter diesseits der Kitschgrenze, also der unerträglichen jetzt, balancieren. Und der Rest der Gang rifft und soliert sich knackfrisch produziert und gar nicht mal so soft durch die Dauerwellen-Botanik und bedient sich dermaßen frech, aber auch geschickt bei den Großen des Genres, dass man höchstens von erfreulichem Zitieren und keinesfalls von muffigem Plagiat sprechen kann.

Einzig „Mannequin Show“ hat mich fast verrückt gemacht; die Grundmelodie ist eins zu eins geklaut, aber das Durchgehen bekannter Hits von ASIA bis VAN ZANT ergab: nichts. Sogar der Tipp meines Fachkundigen Nachbarn, das Frühwerk von FAIR WARNING zu sezieren, hat außer Spaß nichts gebracht, auch JUDAS PRIEST waren es nicht. (Danke trotzdem, Jörg.) Erst Youtube hilft: „Oops… I Did It Again“. Britney. Mehr als nur in Spurenelementen, aber magischerweise in wirklich cool. Ein weiterer Smasher ist unter vielen anderen, auch den ruhigeren, die schnittige erste Single „A Shot At Redemption“ mit dem dicken Chor im Refrain. Der Über-Hit aber versteckt sich meines Erachtens ganz am Ende des glänzenden Dutzends: „Laughing At Tomorrow“ wird auf diversen Festivals wildfremde Leute zu Tausenden ins Oohohoho und ihre Arme in epische Wellenbewegungen von links nach rechts treiben. So geht eine Hymne.

Alles in allem kann ich nun also nach mindestens 15 Durchläufen festhalten: „Tearing Down The Walls“ ist dem großen Vorgänger „Address The Nation“ ebenbürtig. Und da SKAGARACK tot, WORK OF ART etwas überschätzt, TREAT weniger hübsch und HOUSTON nur phasenweise hart genug und ZU nahe am Airbrush-Delfin sind, dürfte für Eingeweihte eigentlich nichts gegen diese Gang und ihr neues Werk sprechen. Außer vielleicht dem etwas seltsamen inhaltlichen Konzept: Irgendwas mit kaputter Stadt nach dem Inferno, (Jugend-)Gang und dem ganzen Zeug. Aber wen interessieren an dieser Stelle schon Inhalte? Ernsthaft, Leute, wenn ihr nicht ausschließlich mit atlantisch kodierten Fanzines unterm Arm und Fenriz-Tattoo unterm Bart zwischen KIT und norwegischen Berghütten unterwegs seid und gerade im Sommer auch mal auf die Trveness einen lassen könnt, dann besorgt euch H.E.A.Ts neuste. Und zwei Bier. Und drei kleine Eis.

Nix geht dann mehr schief.

13.04.2014

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2 Kommentare zu H.E.A.T - Tearing Down The Walls

  1. Heiko Eschenbach sagt:

    Kurz und schmerzlos: Großartig.

    9/10
  2. Volker sagt:

    Gut gemachte Scheibe. Klingt sehr frisch und geht richtig nach vorne los.
    Der gute Erik ist mit seiner Stimme über alles erhaben und die Gitarren rocken ordentlich.
    ABER: Der Song „Mannequin Show“ ist unverzeihlich!!! Dafür gibt’s 2 Punkte Abzug von 9.

    7/10