Dem quirligen Trio GROSSSTADTGEFLÜSTER kann auch beim dritten Album keinesfalls vorgeworfen werden, gefällige Musik zu spielen, gleichwohl es einige aufdringliche kompositorische wie textliche Anhaltspunkte für diese These geben mag. Doch die Musik spricht trotz zahlreicher Zitate von massenkompatiblem Pop (im weitesten, allerweitesten Sinne) wiederum eine andere Sprache, selbst wenn die zwischen Kotze und Rotze geifernde Kritik an der hedonistischen Konsumgesellschaft und ihrem Selbstdarstellungswahn dem Feuilleton von Zeit und Spiegel durchaus gefallen und somit eigentlich ein recht großes Publikum erreichen könnte. Aber wirklich nur ganz eigentlich. Denn auch wenn „Königin“ mit sanftem Chill-Out-Teppich zum entspannten Hören einlädt und die erste Single-Auskopplung „Käthe“ quasi Pippi Langstrumpf in der über-flüssigen Postmoderne abfeiert: GROSSSTADTGEFÜSTER stehen mehr denn je für radikale Klänge und Brüche und speien fiese Klischees und geniale Ideen mit ungehörigem Größenwahnsinn und ebenso viel Feierlaune. Die Lyrik von „Nutten und Koks“ und „Kontrollverlust“ spinnt den frisch aus der Gosse gezogenen Faden von „Bis einer heult!!!“ unverwechselbar humorvoll fort, die Arrangements rechtfertigen den Kniefall in dieselbige. Die Refrains von „Weine nicht mein Kind“ und „Kann ich auch“ ironisieren in ihrer Eingängigkeit die aus Funk und Fernsehen bekannten Plattitüden, die Verquirlung von auf die Spitze getriebenem Schnulz und schrägem Elektro im „Liebeslied“ „Kartoffelsuppe“ stellt die Aussage des herrlichen Textes auf den Kopf.
Mit „Alles muss man selber machen“ übertreibt es das Trio endgültig, bemüht sich gar nicht mehr erst, Grenzen auszureizen, sondern konterkariert Pop-Musik in all ihrer vielgestaltigen Oberflächlichkeit mit einer Attitüde, die auf Neudeutsch als LMAA abgekürzt wird und die Ablehnung nicht nur der so genannten „breiten Masse“ ganz offen herausfordert – bislang war es wohl nie einfacher, GROSSSTADTGEFLÜSTER inständig zu hassen. Wer sich dennoch auf ihren ganz eigenen Wahnsinn einlässt, der kann und wird einmal mehr staunen über ihren Ideenreichtum und die Unverfrorenheit, mit der sogar die Bee Gees durch den Kontrollverlust gezogen und Nutten und Koks – und nicht nur die – mit „Freude schöner Götterfunken“ beehrt werden. Die Heile-Welt-Prosa des versteckten letzten Songs mit tanzenden Fischen, glücklichen Einhörnern und rosiger Zukunftsvorhersage spottet nicht nur jeder Beschreibung, sondern trieft so klebrig süß, dass es schon fast ätzend ist. Mit „Alles muss man selber machen“ beweist die gnadenlos zwischen Klanganarchie und Wohlklang hüpfende Band, dass ihre überwiegend positive Musik spannend bleibt, weil sie sich und die Hörer einmal mehr herausfordert und wirklich nichts dem Zufall oder gar geschäftlicher Langeweile überlässt. Sollte der künstlerisch-kreative Abstand dieser Helden zum geBILDeten Einheitsbrei der Volksverblödung gemessen werden, würde es mich nicht wundern, wenn dabei heraus käme, dass sie auf ihren (aus dem neuen Videoclip bekannten) Drahteseln längst die Flucht in ein anderes Sonnensystem angetreten haben, während Lena und Co. immer noch in Höhlen nach dem Lichtschalter suchen.
Kurzum: ein ganz großer Spaß!
Wieder mal ein genialer Output von Großstadtgeflüster. Im Gegensatz zu "Bis einer heult" ein paar schwächere Stücke dabei aber immernoch uneingeschränkt zu empfehlen. Bis dato mein Album des Jahres 2010. Kein anderes lief bisher so lange auf Dauerrotation.