Grorr - The Unknown Citizens

Review

„The Unknown Citizens“ ist das zweite Studioalbum der französischen Progressive-Formation GRORR. Mit dem Digipak hält man ein einnehmendes, durchdachtes aber dennoch minimalistisches Konzeptwerk in Händen – minimalistisch dahingehend, dass es im krassen Gegensatz zum Inhalt steht. Thematischer Ideengeber ist ein sozialkritisches Gedicht des englischen Lyrikers W. H. Auden, mit dem annähernd gleichlautenden Titel „The Unknown Citizen“ (deutsch: Der unbekannte Bürger). Daran anlehnend besteht das Album sowohl inhaltlich als auch atmosphärisch aus drei Teilen: Dem Kämpfer, dem Arbeiter und dem Träumer.

Auch ein Blick in das Booklet lohnt – untermalt werden die unterschiedlichen Geschichten mit passenden Zeichnungen, welche eher skizzenhaft anmuten, aber nach und nach ihren ganz eigenen Charme entfalten. Vorausgesetzt, man gibt ihnen die Chance – dazu aber gleich mehr.

„The Fighter“ – Der Kämpfer

Die ersten drei Tracks unterliegen dem Kriegs-Thema, dementsprechend wird auch die Stimmung erzeugt: Blechbläser, hypnotisch voranschreitende Stahlschläge nebst abgehackten und harten Riffs. Jeder Ton sitzt, jeder Klang, jedes Instrument ist klar zu vernehmen. Die Songs gehen den Weg vom funktionierenden Soldaten bis zu dem Menschen dahinter, der innerlich zweifelt und sich gen Ende dieses Kapitels in einem eigenen Kampf gegen sich selbst und das „größere Ganze“ befindet.

Die Klanglandschaft wird hierbei zunehmend voller und verliert zeitweise ihre „Sterilität“, wird nahezu nachdenklich, bevor die Stimmung resigniert und unterschwellig wütend erneut in die alten, vorangegangenen Strukturen „ausbricht“.

„The Worker“ – Der Arbeiter

Die Episode des Durchschnittsbürgers findet ihren Platz inhaltlich nach dem Krieg, beginnt einlullend mit fernöstlichen Klimpereien und, während der Rest des Albums gänzlich in englischer Sprache vorgetragen wird, beinhaltet „You Know You’re Trapped“ eine seltsame Wortkonstellation von Begleitgesängen auf Italienisch, Spanisch, und etwas, was mir von Translate als Maltesisch angepriesen wird. Nicht nur die Wortkonstellationen sind fremdartig, auch der ganze Teil an sich: Die verbauten Elemente sind ungewohnt, unvorhersehbar und man findet sich vor einem sperrigen, teils verworrenen Klangkäfig, welcher aktiver „Mitarbeit“ bedarf.

Wesentlich „einfacher“ kommt man an den folgenden Part und damit letzten Teil des Albums:

„The Dreamer“ – Der Träumer

Dieses Kapitel startet mit meditativ anmutenden Gesängen und esoterischen Klängen. „Der Träumer“ ist die Generation nach dem Arbeiter – im Wesentlichen melodischer und positiver und zu Beginn nahezu eingängig. Erstmalig sind „normale“ Gitarrenklänge und vorhersehbare Strukturen zu vernehmen, ehe gen Ende des Kapitels – und somit auch der Geschichte – nochmals das Aggressionslevel und die ausgeklügelten Arrangements hochgeschraubt werden.

„The Unknown Citizens“ – ein Fazit

Im Gegensatz zum Gedicht, welches von einem einzelnen unbekannten Mann spricht, der sich einfügt, Teil des Staates und Systems wird und funktioniert, erzählen GRORR aus der Perpektive des jeweiligen Protagonisten. Wo im Gedicht die Frage offen bleibt, ob John Doe ein erfülltes und glückliches Leben geführt hat, zeigen GRORR die Gedanken und Beweggründe dahinter – es gleicht einem Roman mit musikalischer Untermalung. Handelt es sich um einen, zwei oder gar drei Namenlose? – Dies spielt eigentlich keine Rolle, denn auf den Abbildungen sind zwar unterschiedliche Personen zu erkennen, der Inhalt des Albums ist jedoch bei all seiner Vielfalt und Abwechslung trotzdem homogen. Dies ist auch der Grund, warum es sich lohnt, sich die Zeit für das Album zu nehmen: Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich sich diese bisher ungehörten Elemente ergänzen, aber es bedarf wahrlich mehrerer Durchläufe und aktiven Zuhörens, um den „Charme“ des Albums nachvollziehen zu können.

Von einfachen oder eingängigen Soundstrukturen fehlt jede Spur und auch mit Bertrands Stimme muss man erst warm werden; sie ist tief, schwer und wechselt zwischen bedrohlichen Growls und Melodie, ist aber auf eine schwer zu beschreibende Art trotzdem nicht abwechslungsreich. Auch funktioniert „The Unknown Citizens“ meiner Meinung nach nur im Ganzen, es ist organisch und bietet eine faszinierende Mischung aus progressiven und elektronischen sowie experimentellen Elementen. Wer sich für anspruchsvolle Stücke und / oder MESHUGGAH, GOJIRA, DAGOBA und DEVIN TOWNSEND begeistern kann, sollte GRORR unbedingt antesten. Denn summa summarum: Schwere Kost, nichts für einen leichten Sommerabend – aber das ist auch gut so!

26.01.2015

The world is indeed comic, but the joke is on mankind.

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1 Kommentar zu Grorr - The Unknown Citizens

  1. honksen sagt:

    Wunderbares Review, obwohl ich Deine Meinung über die Stimme nicht teilen mag. Wenn diese Stimme nicht abwechslungsreich ist, das weiß ich nicht welche denn. Auf jeden Fall bin ich froh, diese Perle bei Euch entdeckt zu haben. Für den geneigten Djent-Liebhaber und Konzept-Album-Freund sei auch das vorherige Album „Anthill“ empfohlen.