Gut fünf Jahre nach dem tragischen Tod von LINKIN‘ PARK-Sänger Chester Bennington veröffentlicht seine alte Band GREY DAZE mit „The Phoenix“ ein zweites und finales Album. Und das ist wie das vor zwei Jahren erschienene „Amends“ ein bemerkenswertes Konstrukt: Bei den Songs handelt es sich um alte Titel, die bereits Mitte der Neunziger auf zwei CDs („Wake Me“ von 1994 und „…No Sun Today“ von 1997) veröffentlicht wurden. Jetzt haben die verbliebenen Bandmitglieder den instrumentalen Part neu eingespielt, während der originale Gesang von Chester Bennington beibehalten wurde – mit ausdrücklicher Einwilligung seiner Witwe Talinda.
GREY DAZE nutzen den Gesang von Chester Bennington
Während „Amends“ vor zwei Jahren noch recht unspektakulär vorbeirauschte, haben es die neuen Songs teilweise in sich: „The Phoenix“ beginnt mit einem Intro aus dem Proberaum, bei dem der Sänger aus einer Laune mitteilte: „Yeah, I am the king!“ – Und das zeigt er beim brillanten Opener „Saturation (Strange Love)“: Seine Stimme ist gleichzeitig aggressiv und melodisch und drückt dem Song seinen Stempel auf. Musikalisch ist das Rock aus der Post-Grunge-Ära, wobei gerade in den Strophen gerne mal die Gitarren ausgestöpselt werden.
Stark geht es weiter mit „Starting To Fly“, bei dem der eingängige Refrain mit dem ständig wiederholten „How high can we go?!“ absolut eingängig und mitreißend ist – gäbe es ein „live“, würde dieses Stück für ordentlich Bewegung in der Menge sorgen. „Be The Man“ ist ein eher gemäßigtes Stück, das sehr schön zwischen Melancholie und Zuversicht pendelt. „Holding You“ ist ebenso ein Kracher, der all seine Energie in den Refrain legt und den Sänger in den hohen Tonlagen hochenergetisch zeigt. Als Gast steuert Dave Navarro übrigens ein gediegenes Gitarrensolo bei.
Im folgenden „Hole“ sind zudem die beiden Töchter des Sängers zu hören, die beiden mittlerweile zehnjährigen Zwillinge Lily und Lila. Mit „Drag“ holen GREY DAZE noch einmal zum großen Wurf aus: Der Track wird vom mal melodiösen, dann wieder aggressiven Gesang navigiert und spiegelt neben Verlorenheit auch sehr viel Schönheit wider. Dagegen haben es die restlichen vier Stücke etwas schwer, auch wenn „Anything Anything“ mit Eingängigkeit punkten möchte – für meinen Geschmack rauscht der Song aber zu straight durch, gerade wenn man weiß, welch eine Kraft Chester Bennington aus seiner Stimme entwickeln konnte.
„The Phoenix“ ist nicht nur Musikhistorie
Auch wenn am Ende also die Spannungskurve etwas nach unten weist, ist „The Phoenix“ aber ein gutes Album. Gerade die erste Hälfte mit „Saturation (Strange Love)“, „Starting To Fly“ und „Holding You“ ist wirklich stark – und das geht über die musikhistorische Bedeutung, dass da eben der LINKIN‘ PARK-Sänger mit seiner ersten semiprofessionellen Band zu hören ist, hinaus. Da mit weiteren Scheiben von GREY DAZE nicht zu rechnen ist (das auf den ursprünglichen Platten vorhandene Songmaterial ist nunmehr ‚aufgebraucht‘), dürfen wir uns wenigstens über einen gediegenen Schlusspunkt freuen. Danke dafür!
„Während „Amends“ vor zwei Jahren noch recht unspektakulär vorbeirauschte, haben es die neuen Songs teilweise in sich“
Das sehe ich genau andersherum. „Amends“ war packend, vor allem die ruhigeren Stücke hatten eine hohe Emotionalität und wurden durch Chesters Stimme sehr intensiv (vielleicht spielt das Wissen um seinen tragischen Tod da ebenfalls eine Rolle).
Die neue dagegen rauscht ohne wirkliche Highlights vorbei. Kein schlechtes Album und für so Ami-Alternative/Grunge schon okay, aber auch nichts wirklich besonderes. Ohne Chester würde es heutzutage wohl kaum wen hinterm Ofen vorlocken.
Eigtl. 5 Punkte, da es aber durch die Neueinspielung der Instrumente und den Originalvocals (und vor allem der Einwilligung der Familie) ein sympathisches Projekt ist, leg ich noch einen drauf.