Green Carnation - Leaves Of Yesteryear

Review

Die Dichte an musikalischen Erzeugnissen für Genießer melancholischer Stimmung ist ohnehin hoch, und doch dürfen diese nun erneut uncharakteristisch frohlocken, denn neben den Hochkarätern KATATONIA geben sich auch deren norwegische Kollegen GREEN CARNATION die Ehre mit einem neuen Album, das auf den verheißungsvollen Namen „Leaves Of Yesteryear“ hört. Darauf haben Fans seit „The Acoustic Verses“ von 2006 lange warten müssen, auch wenn Terje Vik Schei a.k.a. Tchort (ex-EMPEROR) relativ früh neues Material angeteasert hatte. Die Band, aus deren schnell zerfallenen Original-Lineup auch IN THE WOODS… hervorgingen, war in der Zeit jedoch entgegen dieses Versprechens mehr oder weniger inaktiv und kehrte schließlich um 2016 für erste Bühnenaktivitäten auf die Bildfläche zurück, die sie auch in Form von „Last Day Of Darkness“ dokumentierte.

Hat da jemand etwa olle Kamellen recycelt?

Beim Blick auf die Trackliste von „Leaves Of Yesteryear“ breitet sich zunächst Verwunderung über den dünn gesäten, wirklich neuen Inhalt der Platte aus. Mit „My Dark Reflections Of Life And Death“ nimmt eine Neueinspielung eines Songs von ihrem Debüt „Journey To The End Of The Night“ ein gutes Drittel der Gesamtspielzeit ein, während das Abschließende „Solitude“ ein Cover von BLACK SABBATH ist. Neu sind nur „Leaves Of Yesteryear“, „Sentinels“ und „Hounds“. Nach außen hin fühlt sich „Leaves Of Yesteryear“ damit erst mal mehr wie eine EP oder ein Testlauf denn wie ein ausgewachsenes Album an. Andererseits wurde noch keine Studio-Version von „My Dark Reflections“ mit Kjetil Nordhus, der definitiven Stimme von GREEN CARNATION, aufgenommen.

Es bedarf zugegeben ein bisschen guten Willen, um diesen Beigeschmack abzustreifen, zumal die lange Wartezeit zumindest Unsereins auf ein bisschen mehr Originalmaterial hat hoffen lassen. Doch sobald die ersten Töne des eröffnenden Titeltracks ertönen, ist man relativ flott wieder drin im Sound und ebenso flott gefesselt von selbigem. Die Gitarren riffen sich klagend und schwer durch den Song, perlende Klavierlinien, die wie dramaturgisch bewusst platzierte Regentropfen anmuten, vertiefen die Emotionalität, vielleicht mit einem leichten Hauch Kitsch, der jedoch nicht wehtut. Und Nordhus‘ souliger Gesang lässt einmal mehr einen wohligen Schauer über den Rücken fahren. In der Hook hält dann eine seltsame Wärme Einzug in den Song, die der vorherrschenden Melancholie etwas vorsichtig Triumphales entgegensetzt.

GREEN CARNATION überwinden die anfängliche Skepsis mit Bravour

„Sentinels“ gestaltet sich etwas kraftvoller rockend und mit einer hymnischen wie einprägsamen Hook daher kommend. Der Song schmiegt sich dank der klaren Produktion, welche die Konturen angenehm weich aber nicht zu formlos zeichnet, dennoch nahtlos an den Titeltrack an. Dann rollt auch schon „My Dark Reflections Of Life And Death“ heran – und GREEN CARNATION lassen den Song wirklich aufblühen. Wer die Rohheit und die weiblichen Gesangsanteile des Originals vermisst, schaut hier ein bisschen in die Röhre. Doch die Band hat das Stück ziemlich kompetent aufgeräumt und präsentiert den Song im modernen Gewand, fast so als wäre er genau für dieses Album geschrieben worden. Sicher hilft auch, dass Nordhus ein fantastischer Sänger ist, der das Teil einfach zum Leben erweckt.

Wieder etwas rockiger unterwegs kreiert „Hounds“ durch seinen triolischen Rhythmus eine zwar etwas behäbigere, aber dennoch bestimmte Beschwingtheit, die den Song in Bewegung hält. Dazu kommen eine große Sahne-Hook und eine Bridge, in der Nordhus kurz mit verspielt optimistischen „Lalala“-artigen Klängen intermittiert, ähnlich wie in den folkigeren Momenten der Landsmänner OAK, bevor der Track zu seiner melancholischen Erhabenheit zurückkehrt. Hieran knüpft „Solitude“ an, bei dem GREEN CARNATION durch Zurückhaltung eine ungemein intime Atmosphäre generieren. Dominiert durch Zupfereien auf der Akustischen und perlendem Klavier sowie einer sanft raunenden Orgel, die als Basslinie dient, kann man als Hörer förmlich in Echtzeit zusehen, wie der Song unter die Haut geht – besonders in den mehrstimmigen Gesangspassagen.

„Leaves Of Yesteryear“ lässt schwärmen, genießen und hoffen

Die neuen Songs bieten große Klasse und glücklicherweise haben sich die Norweger als verantwortungsvoll und effizient erwiesen, was das Recyclen alten Materials angeht. Es lohnt sich also allemal, die anfängliche, milde Enttäuschung zu überwinden und über den vermeintlichen Makel hinwegzusehen, dass „Leaves Of Yesteryear“ nur wie eine glorifizierte EP aussieht. Denn man bekommt letzten Endes dennoch die geballte Ladung großer Emotionalität geliefert, die zu keiner Zeit billig anmutet. Dass sich GREEN CARNATION nie dafür zu schade sind, ihre Melancholie angenehm bunt aber nicht zu aufdringlich einzufärben, anstatt alles grau in grau zu halten, zahlt sich am Ende einmal mehr aus, selbst wenn nur die Hälfte Originalmaterial ist. „Leaves Of Yesteryear“ sinniert also gleichermaßen über Vergangenes, Präsentes und Kommendes.

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03.05.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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3 Kommentare zu Green Carnation - Leaves Of Yesteryear

  1. Steppenwolf sagt:

    Der Titeltrack hat mich längst in seinen Bann gezogen. Green Carnation kann kommen…

  2. nili68 sagt:

    Bisschen langatmig, aber das muss bei Art Rock wohl so. Kann man sich geben, wenn man morgens aufwacht und sich mal wieder so richtig adult fühlt..

  3. Steppenwolf sagt:

    Also der erste Eindruck ist überwältigend. Was da an musikalischer finesse drinsteckt… großartig.
    Green Carnation zeigt sich umheimlich variabel, sowas hätte ich mir auch von Katatonia gewünscht.
    Das sind alles Hits auf dem Album! Das sind für mich 10/10 auch wenn sich das „neue“ Material in grenzen hält kommen sie trotzdem auf ne Dreiviertelstunde spielzeit. Aber nun genug des Lobes:

    10/10