Gotthard - Bang!

Review

Galerie mit 26 Bildern: Gotthard - Knock Out Festival 2023 in Karlsruhe

Von einem „Befreiungsschlag“ zu sprechen wäre sicherlich eine etwas zu euphorische Wortwahl, allerdings schaffen die Schweizer Megaseller mit ihrem neuen, leider sehr klischeehaft betitelten Album „Bang!“ zumindest teilweise einen ganz wichtigen Schritt. Nach dem Tod ihres über Jahre prägenden Frontmanns Steve Lee ist die neue Scheibe im Vergleich zum vielleicht etwas biederen Vorgänger „Firebirth“ in Teilen wesentlich offener, eigenständiger und unangepasster. „Firebirth“ muss trotz des guten Songmaterials noch als Versuch gelten, die Lücke des verlorenen Sängers zwanghaft zu schließen, auf „Bang!“ ist es vor Allem der kompositorische Einfluss des neuen Sängers Nic Maeder, der sich bemerkbar macht. Sein Einfluss lässt Gotthard plötzlich moderner und zeitgemäßer klingen, wobei das Vorhaben, die Trademarks nicht über Bord zu werfen, dabei ebenfalls gelingt. Umso bedauerlicher ist angesichts des herausfordernden, weniger auf Airplay getrimmten Songmaterials, dass die Band es nicht schafft oder wahlweise es sich nicht zutraut, die Metamorphose vollends durchzuziehen und das neu gewonnene Selbstbewusstsein über die volle Distanz aufrecht zu erhalten.

Der Einstieg in das Album ist mit dem Titelsong gut gewählt. Die Nummer zeigt die neue Marschrichtung auf: Gotthard müssen nicht zwangsläufig dem Mainstream-Publikum in die Hände spielen. „Bang“ steht stellvertretend für die gelungenen zwei Drittel der Scheibe, bei denen die Schweizer plötzlich ungeahnte, oder zumindest lange nicht gehörte Energien frei setzen. Ein großer Teil des Albums besteht aus kantigen Rocksongs, bei denen die Energie wichtiger ist als die massentaugliche Hookline, und die vor Allem wegen ihrer rifforientierten Ausrichtung einen gewissen Anspruch haben. Die Band hat ihren melodischen Kompositionsstil nicht aufgegeben, setzt ihre Talente aber etwas subtiler ein, so dass viele der Nummern an die ersten beiden Alben erinnern – bei im Vergleich zu „Dial Hard“ besserem Melodiegefühl. „Get Up N‘ Move“ ist sogar noch besser, und man beginnt daran zu glauben, dass die Band in diesem Tempo weitermacht. Dann aber werden Gotthard viel zu früh wieder vom Mainstream-Koller heimgesucht, präsentieren mit der ersten Single „Feel What I Feel“ eine reichtlich unspektakuläre Radio-Nummer, worauf auch schon die erste wirklich schnulzige Ballade folgt – „C’est la vie“ ist eine vorhersehbare Kuschelrocknummer, die auf „G.“ allerhöchstens als B-Seite getaugt hätte. Und schon ist sie dahin, die neu gewonnene Begeisterung. Neben der bei diesen Songs unbeeindruckenden kreativen Leistung ist das vor Allem ein Problem der Songreihenfolge: Kein Rockfan, ob balladenaffin oder nicht, möchte eine Band hören, der nach zwei Songs schon die Luft ausgeht. Der Eindruck wird von der Tatsache verstärkt, dass Gotthard direkt anschließend in der Tat mehrere ihrer wirklich guten Songs auf den Silberling gepresst haben – was nach der anstrengenden Pflichterfüllung aber wie ein komplett neuer Anlauf wirkt. Dennoch: In dieser Albumphase wirkt „Bang!“ am überzeugendsten. „Jump The Gun“ ist ein mitreißender Rocker, „Spread Your Wings“ ein midtempolastiger, ebenfalls nicht zu verachtender Groover, der vor Allem parallel zur Zahl der Albumdurchläufe wächst, und „My Belief“ ist sogar ein echtes Highlight, weil es die zeitgemäße Ausrichtung am Besten mit dem melodischen Verständnis der Band verbindet. „I Won’t Look Down“ fügt sich stilistisch zwar nahtlos ein, plätschert aber dennoch etwas dahin.

Die zweite Ballade „Maybe“ ist von den bisher gehörten definitiv die bessere Alternative. Unterstützt von der amerikanischen Sängerin Melody Tibbits ist Gotthard ein schöner, melodiereicher Schmachtfetzen gelungen, der tatsächlich mit den klassischen Schwofnummern der Band mithalten kann. Mit „Red On A Sleeve“ wird anschließend wieder der Rennbolide aus dem Schuppen gefahren. „What You Get“ klingt wie ein Überbleibsel aus alten Sessions mit Steve Lee, erscheint seltsam vertraut und ist bereits die nächste Anbiederei, der man schön hätte aus dem Weg gehen können, wenn man das Album nicht auf eine Stunde Spielzeit aufgebläht hätte. „Mr Ticket Man“ ist nett, das zehnminütige Schlussepos „Thank You“, untermalt mit Streichern und (natürlich) wieder eine Ballade, wäre aber mit fünf Minuten nicht weniger gehaltvoll gewesen. Ein gelungenes Experiment klingt anders, ausufernde Prog-Nummern sind nicht das Metier der Band. Dem Ende des nie enden wollenden und überaus rezitativen Kitsches sehnt man sich dann doch zu nachhaltig entgegen.

„Bang!“ hätte also der erhoffte Befreiungsschlag werden können, wenn Gotthard nicht zwischendurch immer wieder der Mut verlassen und sie sich allzu sehnsüchtig nach den abgetrampelten Pfaden strecken würden. Der Rockfan, der sich bei einigen Songs des Albums ein zweites Loch in den Bauch freut, wird immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt, weil Gotthard entweder zum falschen Zeitpunkt mit dem falschen Weichspüler um die Ecke kommen, oder die Ideen am Ende ein bisschen zu wenig überzeugend sind. In manchen Momenten möchte man „Bang!“ beinage als stärker als den Vorgänger einstufen, was man in der Gesamtbetrachtung aber nicht wirklich rechtfertigen kann. Ein zweischneidiges Schwert also, bei dem es schließlich nicht zur unbedingten Kaufempfehlung reicht.

 

 

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29.03.2014

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