Gojira - Fortitude

Review

Ausgerechnet mit „Magma“ sollten GOJIRA 2016 ihren größten, kommerziellen Erfolg feiern, ein Album, das die Gebrüder Duplantier ihrer verstorbenen Mutter gewidmet haben. Ausgerechnet mit diesem düsteren, traurigen Einschnitt in ihr Leben feierten die Franzosen ihren Durchbruch in den Mainstream, der ihnen nicht nur eine hohe Platzierung in den Billboard Charts, sondern auch zwei Grammy-Nominierungen unter anderem für den Track „Silvera“ sowie eine ausgedehnte Headliner-Tour bescherte. Im Grunde ist es mittlerweile recht und billig, die Band als Metal-Superstars zu bezeichnen. Das Opfer, wenn man denn so fatalistisch sein möchte, war natürlich, dass der typische GOJIRA-Metal auf „Magma“ deutlich leichter verdaulich geriet und weit weniger Death-Metal-Anteile aufwies.

Die „Magma“ fließt weiter

Die Schwere und Härte von Bandklassikern wie „From Mars To Sirius“ und „The Way Of All Flesh“ wurde ein bisschen zurückgefahren, wenngleich der bandtypische, auch dank Mario Duplantiers Schlagzeugspiel charakteristisch straff gezogene Sound intakt geblieben ist. Mittlerweile sind seit dem Erscheinen dieser Platte gute fünf Jahre ins Land gezogen. Nun steht endlich der Nachfolger von „Magma“ in den Startlöchern, heißt „Fortitude“ und trägt mit dem Titel eine gewisse Programmatik in sich. Denn mit diesem Album möchten sich GOJIRA, gerade nach dem eher sentimentalen „Magma“, wieder gestärkt präsentieren – und zugleich ein (für ihre Verhältnisse eben) ausgelassenes Stück Musik abliefern. Und fürwahr: Das ist ihnen gelungen. „Fortitude“ knüpft dabei am „Magma“-Sound an, was Sinn ergibt, da dieser sich als so erfolgreich erwiesen hat.

Heißt: Wieder ertönt vermehrt Joe Duplantiers klare Stimme neben seinem markanten Gebrüll. Gleichzeitig statten die Franzosen diesen Sound jedoch mit der Gravitas aus, die etwa ein „The Way Of All Flesh“ inne hatte. Heraus kommt ein Album, das gemäß des jüngeren Œuvres der Band um die Gebrüder Duplantier mehr die Bühnen der Arenen und Stadien dieser Welt denn die der Clubs anpeilt, dies dank angemessener Härte jedoch mit metallischem Nachdruck unterfüttert. Gleichzeitig bleiben die Trademarks erhalten, neben der bereits erwähnten, heavy groovenden Rhythmik sind das die tighten Gitarren, diese monumentale, sich stoisch vor dem Hörer auftürmende Wall Of Sound, dazu passende, irgendwie urtümlich wirkende Melodien und immer wieder diese kleinen Ausflüge ins Ethno-Territorium.

„Fortitude“ steht für eine innere Stärke

Das erste, was einem beim Opener „Born From One Thing“ förmlich ins Gesicht springt, ist der Sound der Platte. „Fortitude“ klingt knackig, warm und raumfüllend, bringt also die Klangästhetik mit, die den Begriff „Stärke“ praktisch verkörpert. Dadurch kracht dieses eröffnende Stück so richtig lebendig aus den Boxen, wobei sich hier schon die gute Balance zwischen monumentaler Härte auf der einen und dem nötigen Maß an Melodie und Eingängigkeit auf der anderen Seite bemerkbar macht, eine Balance, die GOJIRA hier auf den Punkt getroffen haben. Lyrisch legen die Franzosen so ein bisschen den Kontext für die zentrale Thematik von „Fortitude“ aus. Im Refrain heißt es:

We were born for one thing
Tame the greatest fear of all
We were born for one thing
Born to face the greatest fear of all

Gemeint ist wohl der Tod, der auch in der ersten Strophe des Tracks offen thematisiert wird. Dass unser Leben endlich ist, ist natürlich keine neue Erkenntnis, aber es passt, um den thematischen Kern von „Fortitude“ mit der nötigen Dringlichkeit zu versehen, etwas, was auch das folgende „Amazonia“ ziemlich einschlägig tut. Hier heißt es in der Refrain-Zeile etwa:

The greatest miracle
Is burning to the ground

GOJIRA wandeln eine mahnende Anklage in eine ermutigende Ansprache um

Schließlich wird mit „Another World“ das eigentliche Thema vorgestellt:

Another world, another place to be
Other world, a new place for me

Es geht darum, einer indifferenten Gesellschaft zu entkommen, die getrieben von Gier, Eitelkeit und blindem Hass alles um sich herum zerstört. Der Wunsch nach einer neuen Welt treibt das Album voran – und die Franzosen finden praktisch stets die richtigen Worte, um das auszudrücken, gerade emotional genug, um unter die Haut zu gehen, hier und da eventuell ein bisschen cheesy, aber das bleibt alles im Rahmen des Ertragbaren. Doch so richtig treffen sie mit „The Chant“ ins Mark, das im Tonfall von einer Anklage abweicht. Stattdessen dient der Track als eine Art Empowerment-Anthem, der den Hörer aktivieren soll:

You were told to swallow crawl and hide
Victims of fear and deception
Get ahold of yourself rise above
The better part of you, immortal

In gewisser Weise drehen GOJIRA also die Anklage in eine positive Ansprache um, ohne ihren Hörern auf zu offensichtliche Weise mit dem Zaunpfahl eins überzubraten. Es balanciert wie erwähnt hier und da auf der Schwelle hin zum Cheese, der mit erhobenen Zeigefinger winkt, aber dank der Schwere und – im positiven Sinne – Humorlosigkeit des Sounds geht die Gleichung auf und verliert sich praktisch kaum im plakativen Phrasendreschen.

Eine Trackliste für Weltenbummler

Mit einer solchen, bei aller Souveränität doch schon recht heruntergenudelten Thematik ist es daher umso erfreulicher, dass „Fortitude“ praktisch durchgehend mächtige Songs mitbringt, die das Versprechen der Fortentwicklung des „Magma“-Sounds nicht nur einlösen, sondern die Erwartungen daran sogar übertreffen. Songtechnisch feuern die Franzosen praktisch einen Kracher nach dem anderen ab, während die Produktion Knackens und Klarheit ziemlich gut ausbalanciert. Auf der einen Seite drückt „Fortitude“ genau so, wie man sich das von GOJIRA eben wünscht. Auf der anderen Seite kommen selbst die kleinsten Details wie die weltmusikalischen Elemente so richtig schön zum Vorschein, wann immer sie eingesetzt werden, und treten so mehr in den Vordergrund als je zuvor.

Am offensichtlichsten tun sie das in „Amazonia“, das den Hörer direkt mit Kehlkopfgesang und Maultrommel in Empfang nimmt. Aber auch Percussion tritt immer wieder prominent in Erscheinung wie in der Hook von „New Found“, das die Rhythmik der Hook zudem noch mit geschmackvollen Claps untermalt. Das titelgebende Instrumental, das in „The Chant“ einleitet, klingt gar so, als wäre man am frühen Abend in einer fremden Kleinstadt unterwegs und würde den Klängen irgendwelcher Straßenmusiker zuhören. Der Übergang zwischen beiden gerät ein kleines bisschen abrupt [was aber auch am mir vorliegenden Promo-Stream liegen kann, Anm. d. Red.], aber „The Chant“ klärt dadurch, dass es praktisch die Melodien und Vibes des Instrumentals nimmt und fast in eine regelrechte PINK FLOYD-Hymne transformiert. Zugegeben fällt dadurch der Druck etwas ab, aber so lässig erlebt man GOJIRA wahrhaftig selten.

Ihren Sound haben GOJIRA noch lange nicht zu Ende erkundet

Daneben warten die Franzosen aber auch mit Songs auf, die schon typischer für ihr Wirken klingen. „Another World“ beispielsweise erzeugt durch straff gezockte, triolische Riffs einen überraschend aggressiven Midtempo-Groove. Das bereits erwähnte „New Found“ kracht abseits der hymnischen Hook heavy groovend aus den Boxen und wechselt dabei ähnlich wie seinerzeit beispielsweise „Silvera“ relativ geschmeidig zwischen 6/4- und 4/4-Takt hin und her. „The Sphinx“ ist noch so ein „klassischer“ GOJIRA-Track mit kantigen Grooves und einer vergleichsweise düsteren Klangfärbung, höhenlastig verzerrten Gitarren und hohem Anteil an Gebrüll und Brüllgesang seitens Joe Duplantiers. In ebendiese Kerbe schlägt auch das folgende „Into The Storm“, wenn auch etwas hymnischer. Hier sticht vor allem das buchstäblich stürmische Intro hervor.

Mit „Hold On“, „The Trails“ und dem abschließenden „Grind“ übertreffen sich die Franzosen jedoch selbst. „Hold On“ ist eine stampfende Hymne mit diesen wunderbaren, belebenden „Fight!“-Rufen in der Hook und elegischen Melodien, die dem Song in der zweiten Hälfte etwas Erhabenes, Klimaktisches verleihen. Hier finden GOJIRA auch Gelegenheit, ihre berühmten Legato-Riffs sinnvoll der Melodieführung unterzuordnen. Dagegen gleitet „The Trails“ melancholisch auf diesen warm angezerrten Palm-Mute-Riffs dahin, inklusive geflüsterter, oder besser: gehauchter Hook, die vor dem sanften, musikalsichen Backdrop wahrhaftig eine Gänsehaut verleiht, besonders wenn sich im Hintergrund des zweiten Refrains subtil begleitende Backing Vocals erheben.

Ihrem immensen Erfolg zum Trotz zeigen die Franzosen keine Nerven

„Grind“ schließlich beginnt zunächst wie ein typischer GOJIRA-Midtempo-Nackenbrecher inklusive hymnischer Hook. Doch um die Halbzeitmarke herum lösen GOJIRA den Song dann in einem melancholischen Thema auf, durch welches „Fortitude“ schließlich auch allmählich zu einem Ende kommt. Es wirkt fast ein bisschen resignativ, was sich auch mit den Lyrics decken würde, die das Album praktisch an seinen Ausganspunkt zurück bringen, so als würde sich dieser Gedanke der Revolution verflüchtigen und allmählich der graue Alltag wieder einsetzen:

Go!
Surrender to the grind
Obey!
Surrender to the grind

Lange Rede, kurzer Sinn: „Fortitude“ ist ein unglaubliches Album, das die vertrauten Elemente der Band, alte wie neue, nimmt und praktisch bis hin zur Perfektion treibt. Das Songwriting ist erstklassig und weist praktisch keine Längen auf. Wichtiger: Die Franzosen zeigen null Nerven angesichts ihres immensen Erfolges und versuchen nicht, das exakt gleiche Album noch einmal aufzunehmen, sondern bauen den „Magma“-Sound sinnvoll und effizient in die richtige Richtung aus. Und so nebenbei fällt auf, dass man Longtracks der Marke „The Art Of Dying“ gar nicht mal so sehr vermisst. Mit „Fortitude“ legen GOJIRA ein großartiges Album vor, bei dem einfach so viel an der richtigen Stelle sitzt und bei dem kein einziger Song zu lang oder kurz geraten ist.

22.04.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

Exit mobile version