Genesis - Wind & Wuthering

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

1976: Es knisterte gewaltig im Hause GENESIS. Steve Hackett kam speziell nach seinem Soloausflug, den er als befreiend wahrnahm, mit seiner zunehmenden, künstlerischen Einschränkung nicht mehr zurecht, die ihm im Laufe der Zeit aufgebürdet worden ist. Anstatt, wie er vorgeschlagen hat, die Anteile des Songwritings für den Nachfolger von „A Trick Of The Tail“ gleichmäßig zu verteilen, entschieden sich die übrigen Bandmitglieder für einen Großteil von Banks‘ Beiträgen, auch wenn Phil Collins durchaus Interesse an Hacketts Ideen hatte. Doch ist es am Ende zu viel Kälte gewesen, mit der man Hacketts Vorstellungen begegnete.

„Wind & Wuthering“ – Hackett zum letzten

So stand im Folgejahr mit „Wind & Wuthering“ das letzte progressive Album der britischen Prog-Legende. Und entsprechend sollte „Wind & Wuthering“ auch das letzte Album sein, in dem Steve Hackett als Musiker der Band in Erscheinung treten sollte, ehe er nach der anschließenden Tour 1977 seinen Hut nahm. Die Musik von GENESIS nahm poppigere Züge an, auch wenn man die Platte immer noch mindestens dem Art Rock zuschreiben kann. Die Elemente von Melodic Rock, AOR und eben Pop machten sich hier aber schon bemerkbar – Elemente, die den progressiven Anspruch der Band auf ihren kommenden Veröffentlichungen gänzlich verdrängen würden.

Und so gaben sich GENESIS ihr letztes Stelldichein mit Hackett im Lineup und vor der endgültigen Wende hin zum Pop, hin zu Hits wie „Follow You Follow Me“, „Land Of Confusion“ und „I Can’t Dance“. Dass die Band diesen Weg beschreiten würde, zeichnete sich dabei wie angedeutet weit weniger abrupt ab als beispielsweise bei YES auf dem Weg von „Drama“ zu „90125“ – das ist aber auch eine ganz andere Geschichte. Stattdessen war der schwindende Einfluss Hacketts auf das Songwriting zu spüren anhand eines geradlinigeren, fast ein bisschen auf AOR hinauskommenden Sounds, der weit weniger Exzentrik zur Schau stellte als noch zuvor.

Das letzte, progressive Aufbäumen

Deutliche Indizien hierfür lieferten vor allem die Songs „Your Own Special Way“ sowie der Rausschmeißer „Afterglow“. Bei beiden Songs handelt es sich um Balladen, wobei „Your Own Special Way“ schon eine dezente Schmalzspur hinter sich her zieht. Dafür fängt „Afterglow“ eine glaubhaftere Stadionatmosphäre ein und wurde in der Folge zum Live-Klassiker. Dennoch war „Wind & Wuthering“ im Gesamten weit davon entfernt, ein schlichtes Rock-Album zu sein. Denn es flossen dann schon noch genügend kompositorisch interessante Ideen in das Songwriting ein, hinter denen man die alten Recken noch wiedererkennen konnte – wenn auch in etwas rundgefeilter Form.

„Eleventh Earl Of Mar“ markiert einen angenehm nervösen Einstieg in die Platte mit kecken Orgeln von Banks sowie dem umtriebigen Bass von Mike Rutherford, beides Elemente, die ordentlich Bewegung in diesen ohnehin schon forschen Opener hineinbringen. Der Song öffnet sich im Mittelteil dann aber für einen atmosphärischen, gar verträumten Einschub, wie man ihn auch bei neueren Hackett-Werken wiederfindet, ehe der Song dramatisch zu seinem Ausgangspunkt zurück findet. Der kräftige Gesang von Collins komplettiert das Klangbild und rundet den Song ab.

GENESIS ziehen noch einmal alle Register

Der frühe Höhepunkt der Platte ereignet sich mit „One For The Vine“, einem vielschichtigen, beinahe symphonischen Track, der dank seiner unglaublich subtilen Komposition runtergeht wie Öl. Mellotronstreicher und Hintergrundgesänge schwellen hinter dem vom Klavier dominierten Sound auf und ab, als wären sie Naturphänomene, während die Gitarre delikate Spitzen setzt, die unter die Haut gehen. Auch in seinen etwas bewegteren, rockigeren Momenten bleibt die Qualität des Tracks konsistent. Und wieder führt Collins‘ Gesang stimmungsvoll durch den Song.

„All In A Mouse’s Night“ eröffnet mit überlebensgroßen, raumfüllenden Synthesizern, die auch den Rest des Songs bestimmen, und bietet von Beginn an reichlich rhythmische Abwechslung mit mal lautmalerischen, mal bandtypisch spöttischen Vaudeville-Passagen. Wie passend, denn der Song basiert im weiteren Sinne auf den Tom & Jerry-Cartoons. Das wiederum erklärt die etwas überzogeneren Elemente des Tracks. Entsprechend lässt sich auch Collins nicht lumpen und liefert einige der bombastischeren Gesangslinien der Platte ab.

„Unquiet Slumber For The Sleepers…“ und „… In That Quiet Earth“ sind zwei zusammengehörige Instrumentalstücke, deren Titel zusammengesetzt aus dem Roman „Wuthering Heights“ entstammt, der wiederum Inspiration für den Titel des Albums lieferte. Am meisten sticht hier jedoch die deutlichere Hackett-Einfärbung hervor, die beide Tracks zu einem weiteren Highlight machen. Während „Unquiet Slumber For The Sleepers…“ als meisterhaft atmosphärisches Intro mit Hacketts markantem, harfenartigem Spiel auf der Aksustischen dient, geht es bei „… In That Quiet Earth“ deutlich rockiger und frickeliger zur Sache, während unter anderem ein Motiv von „Eleventh Earl Of Mar“ wieder aufgegriffen wird.

Und dann waren es nur noch drei

Und mit dem bereits erwähnten „Afterglow“ geht das letzte, progressive Aufbäumen von GENESIS in voller Länge zu Ende. Mit „Wind & Wuthering“ beendete Steve Hackett auch seine Karriere bei der Band. Was folgen würde, dürfte jeder wissen, der auch nur im entferntesten mit Phil Collins und seinem musikalischen Umfeld vertraut ist. Mit dem mehr an melodischem, größer angelegten Rock ausgerichteten Sound wuchs der Bekanntheitsgrad beim US-amerikanischen Publikum natürlich. Doch anstatt den Mittelweg zwischen Anspruch und Eingägigkeit zu wählen, wie eine gewisse kanadische Band zu ungefähr der gleichen Zeit, ging diese Geschichte anders weiter.

Und dann waren es nur noch drei…

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15.05.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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