Über zweieinhalb Jahren durchlief “Everything Goes In Circles“ immer wieder meine Gehörgänge. Kaum ein anderes Album hatte während dieser Zeit dermaßen gezündet und zudem äußerst lange Brennzeit bewiesen. Dafür sorgten düstere Punk-Rock-Stücke im eigenwilligen LoFi-Sound-Gewand, die sich frei von Penetranz und doch beharrlich einprägten. Es wurde getourt, zwischendurch unter anderem ein extrem sonnenbebrilltes BLONDIE-Cover aufgenommen, bis sich der Genpool – inzwischen mit neuem Drummer – schließlich ans zweite Album machte.
Vor ein paar Monaten der erste Song, versehen mit dem Hinweis, dass man die Band kaum wiedererkenne. Und tatsächlich: ’Berlin By Night’ war ein gewöhnungsbedürftiges Stück Musik. Oldschool-Elektrogetucker?! Äh, sang da wirklich Letten?! Die Songs mit Chris am Gesang sollten offenbar nicht die Ausnahme sein – keine Wiederholung, raus aus dem Kreis. Als die Scheibe in der unspektakulären Papphülle dann da war, gewann erst mal kritisch gegen gespannt, bevor “Sendung / Signale“ endlich doch rotierte.
Der erste Eindruck: viel Indie-Tanzfläche, viel Elektro, variantenreicher und experimentierfreudiger, aber auch weniger geschlossen, weniger Hits, immer noch düster, kühl … Wave-Punk, Elektro, Pop, eingehüllt in einen Retro-Mantel … Warhol im Beipackzettel. Definitiv gewöhnungsbedürftig.
Und jetzt? Meinen Geschmack trifft “Sendung / Signale“ teilweise nicht und dieses Album wird auch nicht andauernd komplett rotieren. Andererseits ist es Ausdruck einer respektablen Weiterentwicklung und einmal mehr beeindruckt die qualitative Konstanz der Blubox-Noisolution-Verbindung, auch wenn bei kurzer Laufzeit wenige Durchhänger stärker auffallen. Eröffnet wird mit ’About To Say Hello’. Besonders während der ersten Sekunden reizt Jack Letten (SMOKE BLOW) die Grenzen von Geschmack und Pop aus, was im Endeffekt aber aufgeht, wenn die typischen, verzerrten, hohen, treibenden Gitarrenklänge einsetzen und Letten später durch die gezogene Gesangslinie im Refrain das Ding zu einem cleveren Hit macht. Ein bisschen schwieriger wird es schon beim nächsten Song, bevor das Titelstück kommt, bei dem der deutsche Refrain arg in Richtung Neue Deutsche Welle tendiert. Einige wird es vielleicht nicht stören, aber mir ist das in dem Fall dann doch eher zu viel an fröhlicher Flachheit.
Stark ist ’Sense Of Distance’, das vom einprägsamen Refrain und einem schrägen Gitarreneffekt lebt, während ’Dead Radio’ ein ruhiges, experimentelles Stück Elektro-Musik ist. Dramaturgisch passt das nicht so recht. Auch danach gibt es viel Achtziger-Wave. Während ich mich mit ’Killer Bee’ aufgrund des Refrains noch anfreunden kann, ist mir ’Zombie Of Love’ dann wieder zu cheesy und lasch. ’Suicide Drive’ wurde auch schon auf der letzten Tour gespielt, funktionierte dort gut und ist eine sanftere Abkehr vom Material der vergangenen Scheibe. Großartig auch die offenbare KILLING-JOKE-Hommage ’Susperia’. Der Song erzeugt perfekt dieses dichte, elektrifizierte Industrial-Rock-Feld und Letten zeigt, dass er auch locker in Richtung Jaz Coleman machen kann. Für ’Zählzeit’ tut es die Skip-Taste, wenn man keinen Fetisch bezüglich Pieps-Tönen sowie aufzählenden Computer-Frauenstimmen hat.
Ich glaube, dass GENEPOOL zu den Bands gehören, die man unter vielen anderen wiedererkennen würde. Bemerkenswert, bedenkt man, dass für “Sendung / Signale“ sicherlich bei deutschen Elektronik-Vorreitern gewildert wurde und auch im weitesten Sinne internationale Gothic-Rock-Gruppen der Inspiration gedient haben dürften. Eine nähere Eingrenzung fällt schwer, da Verweise auf wavige Achtziger bei mir kaum klare Erinnerungen auslösen können. Allerdings baut das “Allstar“-Team in der heutigen Musiklandschaft weiter an einem Haus, das mir relativ einzigartig und frei von Nachbarn scheint. Pop ist in diesem Fall nicht gleichzusetzen mit uninteressanter, abgenutzter, glatter Massentauglichkeit. Jedenfalls spricht mich das hier mehr an, als die üblichen britischen Titelblatt-Verdächtigen. GENEPOOL halten mit ihrer Eigenart Abstand zum üblichen Kram der Mainstream-Hitparaden oder Alternative-Charts und legen auch mit dem zweiten Album eine der eigenwilligeren Veröffentlichungen des Jahres vor.
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