Gehenna - First Spell

Review

Als GEHENNA in der zweiten Jahreshälfte ihre Debüt-EP „First Spell“ veröffentlichten (ein genaues Datum ist nicht überliefert), hatten sie bereits einige Höhe- und Tiefpunkte hinter sich, die das Musikbusiness gemeinhin bereithält. Und das im Zeitraffer: Gegründet im Januar 1993 im norwegischen Stavanger, ging die Band in den kommenden Monaten durch einige Line-Up-Wechsel, aus denen sich das Quartett Sanrabb (Leadgitarre, Gesang), Dolgar (Gitarre), Dirge Rep (Schlagzeug) und Svartalv (Bass) herauskristallisieren sollte – soweit so normal.

Höhe- und Tiefpunkte im Zeitraffer

Im Mai erschien ein Demo, im August desselben Jahres eine 7“. Daraufhin klopfte das schwedische No Fashion-Label in Norwegen an, und bereits im Januar 1994 sollte es ins Studio gehen, um das Debütalbum aufzunehmen. Allein… No Fashion konnte leider das Studio nicht bezahlen, weswegen die Sessions mit ein paar unfertigen Tracks im Gepäck wieder abgebrochen werden mussten. Der Traum vom Albumdebüt war damit geplatzt und der Deal hinfällig.

Was andere Bands vielleicht in eine dauerhafte Depression geschickt hätte, sorgte bei GEHENNA offenkundig zu gesteigerter Aktivität: In den kommenden Monaten wurde nicht nur eifrig an neuen Stücken gefeilt, sondern auch ein paar Konzerte gespielt, die schließlich die Aufmerksamkeit des aufstrebenden Labels Head Not Found auf sich zog. Schließlich heuerte mit Sarcana noch eine Keyboarderin an – und fertig waren die rundum erneuerten GEHENNA: Mit diesmal fünf Songs ging es Anfang Juli 1994 für fünf Tage in das Soundsuite Studio von Terje Refsnes (später bekannt durch seine Arbeiten u.a. für TRISTANIA und SIRENIA), um „First Spell“ aufzunehmen.

Debüt mit Verspätung

Und das setzte in der aufstrebenden Black-Metal-Szene eine Duftmarke. Wir erinnern uns: „In The Nightside Eclipse“, „De Mysteriis Dom Sathanas“ und „Frost“ waren gerade erschienen, wohingegen an einen durchschlagenden Erfolg von DIMMU BORGIR noch lange nicht zu denken war. Da war für eine Band wie GEHENNA durchaus eine Nische. Mit ihrer Musik folgten sie weniger den aufgestellten ‚Regeln‘ eines Euronymous, sie loteten keine Extreme aus, sondern wollten ihren Sound so atmosphärisch wie möglich gestalten. Und damit hatten sie per se einen originellen Ansatz gewählt.

Die fünf Songs auf „First Spell“ sind im besten Sinn gefällig: Melodisch, atmosphärisch, aber auch so sorgfältig komponiert, dass keine Langeweile aufkommt. Der Opener „The Shivering Voice Of The Ghost“ beginnt mit fetten Kirchenorgeln, bevor der Song langsam an Fahrt aufnimmt. Das Tempo ist für Black-Metal-Verhältnisse vergleichsweise gemächlich, während der Gesang eher ein heiser gerauntes Krächzen ist, statt nach Halskrankheit im Wintersturm zu klingen. Außerdem untermalt die genannte Orgel geschickt die nicht zu sehr in den Vordergrund gemischten Gitarren. Ein äußerst stimmungsvoller Einstieg, bei dem einzig die nicht ganz sauber gespielten Keyboards gemischte Gefühle hinterlassen. Bei lediglich fünf Studiotagen war aber wahrscheinlich einfach nicht genügend Zeit für zehn weitere Takes, aus denen dann die besten Passagen extrahiert werden konnten.

„Unearthly Loose Palace“ reduziert das Tempo noch ein wenig und setzt ansonsten auf prominente Keyboard-Orchestrierung, wodurch die originellen Gitarren etwas in den Hintergrund rücken. Dafür überrascht das Stück mit einer unvorhersehbaren Bridge; Stichwort: Klassischer Songaufbau. In der Mitte der EP steht mit „Angelwings And Ravenclaws“ das einzige ältere Stück aus Demotagen. Die am Anfang und am Schluss beigemischten synthetischen Sounds nerven zwar (die liegen irgendwo zwischen Werkssirene und Wecker), aber die Melodieführung ist ansonsten wirklich gelungen.

GEHENNA finden eine Nische

„The Conquering Of Hirsir“ zeigt die Band von ihrer giftigen Seite – jedenfalls teilweise, denn die einschmeichelnde Keyboardmelodie erinnert wieder daran, dass Extreme nicht gerade GEHENNAs Ding sind. Grundsätzlich könnte man sich den Song auch auf einem DIMMU-Album vorstellen (als jene noch nicht auf übertrieben aufwendige Orchestrierungen setzten), und das ist durchaus als Kompliment zu sehen. Das abschließende „Morningstar“ wiederum beginnt mit einem unheilvollen Intro, um auch hier wieder auf eine einprägsame Melodieführung zu setzen. Und auf ein paar ungewöhnliche Kniffe im Songaufbau, was der Abwechslung schließlich zugute kommt.

Was „First Spell“ in erster Linie auszeichnet, sind die wirklich sorgfältig geschmiedeten Songs mit konsistenten und eingängigen Melodien, die sich dauerhaft im Hinterkopf festsetzen. Insofern war es sicherlich eine gute Entscheidung, die abgebrochene Studiosession aus dem Januar als Chance anzusehen und alle Songs noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Zudem stellte sich die Hinzunahme von Sarcana an den Tasten als absoluter Bonus für den Bandsound heraus – selbst wenn noch nicht jeder Part ultimativ überzeugt (siehe oben). Einzig die Produktion klingt etwas kraftlos, wodurch der Black-Metal-Charakter in den Hintergrund rückt – trotz des satanistischen Ansatzes in den Texten und obwohl die Band eigentlich deutlich heftiger klingt. Das sollte erst beim dritten Album „Malice“ besser zum Vorschein kommen.

„First Spell“ setzt sich dauerhaft fest

Trotzdem war „First Spell“ ein gelungener Einstand mit einer übrigens gelungenen Verpackung: Das Cover mit dem Schattenspiel qualifiziert sich fast schon für das Attribut ‚ikonisch‘. Vor allem ist die EP ein Versprechen an die Zukunft gewesen, das die Band auf den folgenden Alben, die jeweils in Jahresfrist erschienen, einlösen sollte. Selbst wenn es für die erste Reihe nie reichen sollte, aber ihren Platz hatten GEHENNA in der sich ständig verändernden norwegischen Black-Metal-Szene zumindest zeitweise gefunden. Die Fortsetzung in unserer „Blast From The Past“-Rubrik steht somit schon fest – haltet die Augen offen.

11.09.2024

- Dreaming in Red -

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