Rotwein ist wohl eins der Getränke, der Fluch und Segen zugleich sein kann. Fühlt man sich anfangs noch erheitert und beschwipst, so merkt man garnicht, wie schnell man die Flasche leert und wie es der Weingeist schafft, ohne Wissen oder Zutun des Konsumenten, dieser schnell festgefahrene Prinzipien über Bord schmeißt und sich so lächerlich benimmt, dass neben dem Schädel am nächsten Morgen auch die Erinnerungen schmerzen. Aber auch viele Dichter und Denker aus unseren Breitengraden haben vor Jahren herausgefunden, dass Rotwein neben den körperlichen Diskrepanzen auch eine ganz passable Inspirationsquelle sein kann. Nein, es geht hier jetzt nicht um ein Thema aus dem Deutsch-Leistungskurs, aber ja, es muss ein passendes Zitat her, um den Schwenk zu FUNERAL PROCESSIONs neuem Werk „The Red Vine Litanies“ zu finden. Ganz nach dem Motto: „Die stille Freude wollt ihr stören? Lasst mich bei meinem Becher Wein; mit anderen kann man sich belehren; begeistert wird man nur allein“ des Johann Wolfgang von Goethe, beweisen FUNERAL PROCESSION, dass nicht Hopfen und Malz dem alteingesessenen Black Metaller das höchste Gut sein muss.
Die MCD enthält eine Ode an den Weingott Bacchus, die dieser Tage in edler Aufmachung den zwei Jahren musikalischer Pause nach dem vielerorts gelobten gleichnamigen Debüt ein Ende setzt. Der Song mit der Mammutlänge von gut 20 Minuten würde wohl so manchen Puristen erstmal bitter aufstoßen wie der letzte „Genuss“ des Tetrapak-Rotweins. Allerdings bin ich aufgrund fehlender Informationen während des erstmaligen Hörens davon ausgegangen, es würde sich hierbei um mindestens zwei Songs halten. Das soll was heißen!
Wer also zu den Kritikern gehört, der von dem Debüt berechtigterweise mehr als begeistert war, sollte aufhorchen: entgegen der Erfahrung, die man mit zu festen Weinkorken hat, öffnet sich der einfache, aber wirkungsvolle Black’n’Roll mit einer herben Produktion und polterndem, aber nicht zu schnellem Drumming ohne Schwierigkeiten und geht sofort durch die Synapsen. FUNERAL PROCESSIONs Charakterstärke, der unverkennbare Sound und die röhrende Wüterei, ist immernoch Programm. Die dreckigste Stimme im deutschen Black Metal-Bereich des Grafen Gothmog tut sein Übriges dazu, dass „The Red Vine Litanies“ einen trockenen Geschmack im Abgang hinterlässt. Die Riffs bürsten und kratzen in den Gehörgängen und sorgen für die nötigen Umdrehungen. Schließlich soll Black’n’Roll ja auch keinen samtigen Charakter wie ein Franzose aus dem besten Jahrgang erzeugen… Neben einem für rohen und nordisch-angehauchten Black Metal ausgeklügelten Songwriting und abwechslungsreichen Arrangements finden auch sakrale Chöre Verwendung, um dem Psalm „Sinning In Wine Is Holie“, der plakativ die Webpräsenz der Ostfriesen von FUNERAL PROCESSION ziert, auch dementsprechend nahezukommen und eine willkommene Abwechslung darstellt, bis mit gemäßigten, aber nicht weniger kraftvollen Tönen, die nächste Runde ausgegeben wird.
Diese Komponenten machen aus „The Red Vine Litanies“ einen kalten und vielfältigen, aber nicht zu experimentellen Hörgenuss, der die 20 Minuten wie auf Ex verschwinden lässt. Zwar ist diese MCD nicht in der preislichen Lage eines Discounter-Traubensaftes eingestuft, aber man hat bestimmt mehr Freude damit, als mit einer Flasche des gegorenen Getränkes an einem verregneten Freitagabend. Allerdings kann man diese natürlich sehr gerne nebenbei konsumieren, um den Geist zu entfesseln. Man muss aber für den Erwerb von „The Red Vine Litanies“ ebenso wenig in die Tasche greifen, wie ins Glas zu schauen. Wie Bacchus schon zu sagen pflegte: „Wein vergoldet jeden Tag“. Und „The Red Vine Litanies“ lässt hoffentlich auf einen demnächst erscheinenden zweiten, vollmundigen Jahrgang von FUNERAL PROCESSION hoffen. In dem Sinne: Rotwein ist nicht nur gut fürs Herz, sondern auch für die Ohren. Prost und wohl bekomm’s!
Sehr gelungene Mini CD und auch durchaus treffendes Review, wobei ich die Einordnung in Black`n’Roll nicht ganz verstehen kann. Das ist ursprünglicher BM, wirkliche Rockeinflüsse ala CF kann ich da nicht ausmachen.
Eine Acht für nur einen Song??? Sakrosankt… Na gut, geb ich auch, schließlich möchte ich nicht, dass alboin mir in der großen Pause noch ein Bein stellt…
Wenn dieser eine Song gut ist, wieso nicht? Hat ja hier nix mit irgendeinem Bonus zu tun, Herr Stendahl 😛
Gut… Kenne den Song nicht, gehe also mal davon aus, dass der in Richtung der letzten CD geht, so ist das schon in Ordnung;-) Übrigens war auf der letzten CD durchaus auch Black’n Roll (warum dann nicht auf der neuen EP), denn der Beginn von z.B. "Bloode Of The Elder" enthält ein Riff, wie es Siebzigerjahre-Heroen (AC/DC, hab’s Flo schon gesagt seinerzeit) verwendet haben; nach dem Geblaste taucht es auch wieder im gemeinen "Chorus" des Songs auf.