Ok, eines vorweg: Ich bin ein Fanboy. Die folgenden Zeilen sind daher mit entsprechender Vorsicht zu genießen – auch wenn ich mich natürlich um das höchstmögliche Maß an Objektivität bemühe. Hintergrund: Als ich vor zwölf Jahren längere Zeit in den Staaten verbrachte, drückte mir ein damaliger Kollege eine schon ziemlich ramponierte CD in die Hand. Auf diese hatte jemand fünf verwaschene, nur schwer lesbare Buchstaben geschrieben. Wie sich kurz darauf herausstellte, handelte es sich um „What It Is To Burn“, das Debüt der Kalifornier FINCH. Die darauf enthaltenen 13 Songs im Schnittfeld von Rock, Punk und dem, was man heute weithin als „Post-Hardcore“ bezeichnet, zogen mich seinerzeit nicht nur sofort in ihren Bann – sie haben bis heute nichts von ihrer Magie eingebüßt. Um den Sachverhalt noch plastischer darzustellen: Auch anno 2014 kann ich jeden, wirklich jeden verdammten Song der Platte mit peinlichster Inbrunst mitgrölen. Selbiges gilt für das drei Jahre später veröffentlichte „Say Hello To Sunshine“, eine der – meiner Meinung nach – besten Rock-Platten, die jemals geschrieben wurden.
Im Jahr 2006 verkündeten FINCH das Aus. Selbstredend brach für mich damit eine halbe Welt zusammen. Bereits ein Jahr später raufte sich die Truppe aber für kurze Zeit wieder zusammen, spielte einige Reunion-Shows, trennte sich daraufhin abermals – um vor zwei Jahren gerüchteweise zu Arbeiten an einem neuen Album wieder zusammenzufinden. Das Resultat ließ bis heute auf sich warten und trägt den Namen „Back To Oblivion“ („Zurück zur Vergessenheit„). Ob der Albumtitel darauf anspielt, dass damals wie heute der internationale Durchbruch (noch) nicht gelang, ist unklar. Fakt ist hingegen, dass die auf dem dritten Studiowerk enthaltenen zwölf Songs die Stärken der Band eindrucksvoll vor Augen führen. Diese wären: schmeichelnde, eingängige Refrains, die trotz teilst simpler Machart gängige (Pop-)Schemata gekonnt umschiffen, die spannenden, verspielten Gitarrenarrangements, die weder zu billig, noch zu übertrieben verfrickelt gehalten sind sowie mit Nate Barcalow ein Sänger, der bei eingefleischten Todesblei-Freunden sicherlich als absolutes Weichei abgestempelt wird, seine Sache aber schlicht und ergreifend herausragend gut macht.
Um dem Leser den Sound dieser Kapelle anschaulicher zu beschreiben, sei gesagt: FINCH klingen wie eine Mischung aus DEFTONES, INCUBUS, BILLY TALENT und DREDG, obendrein ist das Ganze noch mit einem dezent experimentellen Anstrich versehen. Letzteres zeigt sich nicht unbedingt anhand verquerer Taktfolgen (die es beispielsweise auf „Say Hello To Sunshine“ durchaus gab), sondern vielmehr in den vielen unverhofften Wendungen innerhalb der Songs, der ausgesprochen vielschichtigen Dynamik und vor allem der Eigenwilligkeit, mit der die Kalifornier zu Werke gehen.
FINCH haben diesbezüglich auf „Back To Oblivion“ die Mitte ihres Sounds gefunden: Die Songs sind weder so verschachtelt wie auf dem Vorgängerwerk, noch so pathetisch und rüde wie noch auf dem Debüt. Dennoch legen die US-Amerikaner das nötige Maß an Individualität an den Tag: Die griffige, frische Gitarrenarbeit auf der einen, die charakteristische Stimme Barcalows auf der anderen Seite schaffen im Zusammenspiel den typischen Sound der Truppe. Erst vor kurzem, in einem Kasseler Lokal, schreckte ich aus einem Gespräch nach oben: Der Wirt hatte nach stundenlanger Standard-Rock-Beschallung tatsächlich einen FINCH-Song eingeworfen. Geiler Typ.
Auch auf ihrem neuen Werk haben FINCH wieder Stücke der obersten Güteklasse und mit unbestrittenem Hitpotenzial am Start: Der Titeltrack, das sphärisch-verspielte „Anywhere But Here“, das in manchen Momenten an DEFTONES erinnernde „Picasso Trigger“ oder das balladeske und mit viel Tiefe ausgestattete „Play Dead“ sind zweifelsfrei Nummern mit internationalem Format. Das Problem: Im Zuge der neuerlichen Sessions sind den Kaliforniern irgendwie die Ecken und Kanten abhandengekommen. Somit ist die große Stärke der Scheibe (die gefundene „Mitte des Sounds“) gleichzeitig auch ihre wesentliche Schwäche: Es fehlen letztlich einfach die Spitzen. Songs wie „Us Vs. Them“ oder das farblose „Tarot“ sind beileibe nicht schlecht, aber eben auch nicht wirklich packend – sie rocken unspektakulär dahin, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen.
Der halbgare Schlusstrack, bei dem noch einmal die Akustikgitarre aus dem Schrank geholt und ein wenig auf die Tränendrüse gedrückt wird, lässt einen dann ein wenig nachdenklich zurück: Manches auf diesem Album ist überragend, anderes weder Fisch noch Fleisch. Fakt ist: „Back To Oblivion“ ist eine insgesamt souveräne Rock-Scheibe, der Fans mit Sicherheit wesentlich mehr abgewinnen werden, als Hörer beim Erstkontakt. FINCH sind zweifelsfrei zurück. Vielleicht nicht auf triumphale Weise, dafür aber keineswegs schlechter, als man erwarten durfte.
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