Fields Of The Nephilim - The Nephilim

Review

„The Nephilim“ ist das zweite Album der einflussreichen britischen Gothic-Rock-Band FIELDS OF THE NEPHILIM. Es erschien im September 1988 und damit nicht einmal anderthalb Jahre nach dem Debüt „Dawnrazor“, das wir an anderer Stelle in unserer Blast From The Past-Rubrik bereits gewürdigt haben. Zwischendurch gab es noch die aufregende Single „Blue Water“, die musikalisch an den straighten Gothic Rock des Debüts anknüpft, selbst wenn das Stück mit sehnsüchtelnden Bottleneck-Leads fast schon verträumt ausläuft. Dazu passt das kultige Video, welches das apokalytische Dusty-Cowboy-Image des Debüts als Ausgangspunkt nimmt, sich aber schon bald in eine bunte und mitunter augenzwinkernde Sommernachtsfantasie wandelt.

Auf „The Nephilim“ ist die Single nicht gelandet, hätte auch in die auf den ersten Blick konsistente Aufmachung nicht gepasst. Das Album ist ein Gesamtkunstwerk, das erst bei näherer Betrachtung seine verschiedenen Einflüsse preisgibt. Der erste Eindruck: Mythisch, mysteriös, mittelalterlich. Dazu die Optik eines in Leder eingebundenen, alten Buches, das vor allem die Vinyl-Auflage mit seinem Gatefold-Sleeve stimmungsvoll wiedergibt.

„The Nephilim“ ist mythisch, mysteriös, mittelalterlich

Der mittelalterliche Touch erklärt sich aus den Samples aus dem Film „Der Name der Rose“, der nur kurz zuvor über die Leinwände der Kinos flimmerte und im kollektiven Bewusstsein der damaligen Zeit omnipräsent ist. Da gibt es Mönchschöre in der Einleitung von „Love Under Will“. Der Opener „Endemoniada“ beginnt mit dem „penitenziagite!“-Ausruf des Salvatore, einem in jenem Film von Ron Perlman gespielten Buckligen – wobei der Songtitel selbst das portugiesische Wort für „besessen“ ist und auf einen mexikanischen Horrorfilm gleichen Namens von 1968 verweist.

Ansonsten dominiert okkulte und Horror-Thematik: „Celebrate“ rekurriert auf den britischen Okkultisten Aleister Crowley, wie auch „Moonchild“ und „Love Under Will“. „The Watchman“ kann als Hinweis auf die Nephilim selbst verstanden werden, mythologische riesenhafte Mischwesen aus der Bibel; der Text wiederum zitiert H.P. Lovecraft mit seinem Cthulhu-Mythos. Und der CD-Bonustrack „Shiva“ verweist auf einen der Hauptgötter des Hinduismus, der als Bestandteil der hinduistischen Trinität das Prinzip der Zerstörung verkörpert. „Chord Of Souls“ fällt dagegen ein wenig aus der Reihe und handelt vom religiösen Background in Carl McCoys Elternhaus.

Crowley, Lovecraft, Hindiusmus, Elternhaus

Musikalisch unterscheiden sich die beiden Albenseiten deutlich voneinander: Eingeleitet vom langsam anschwellenden „Endemoniada“ mit seinen Bottleneck-Leads dominieren auf der ersten Hälfte die treibenden Stücke, die teilweise heftige Gitarrenriffs auffahren („Phobia“, „Chord Of Souls“), meistens aber von dicht verwobenen Gitarrenpatterns und –Arpeggien getragen werden – die Band setzt weiterhin auf das Miteinander von verzerrten und unverzerrten Gitarren. Als Single wird das eingängige und gleichermaßen mysteriöse „Moonchild“ ausgewählt, dem Carl McCoy mit seinem tiefen, bebenden Timbre das gewisse Extra verleiht.

Die zweite Seite wird angeführt vom melancholischen „Celebrate“, das einzig von der Stimme und Tony Pettitts Bassspiel getragen wird. Im zwischen episch und verhalten pendelnden „Love Under Will“ spielt dann wieder die komplette Besetzung mit den beiden Gitarristen Paul Wright und Peter Yates sowie Drummer Nod Wright. Das abschließende, fast zehnminütige „Last Exit For The Lost“ wiederum hat es mit seinem anschwellenden Songaufbau und den pumpenden, atmenden Keyboardsounds zu einer Art Underground-Gothic-Hit geschafft – keine ernsthafte Party ohne den letzten Ausgang der Verlorenen. Ikonisch allein ist der Beginn mit den Zeilen: „Would you pay life’s pleasure to see me?!“. – Ja, nein, vielleicht schon.

Bei aller Beleuchtung von Details steht aber auch fest: „The Nephilim“ verschmilzt all diese verschiedenen Einflüsse zu einer Einheit, die man dem Album als Gesamtrealität abkauft. Es benötigt nicht die Erklärung, es benötigt keine Analyse, um das Album zu verstehen. Und um zu spüren, dass mit dem Album eine neue Ernsthaftigkeit einhergeht. Da hat das Augenzwinkern wie beispielsweise in den frühen Videos keinen Platz mehr. Und FIELDS OF THE NEPHILIM entfernen sich gleichzeitig Lichtjahre von den früheren Vergleichen mit den SISTERS OF MERCY: Die Band steht für sich selbst, und „The Nephilim“ steht als heutiger Albumklassiker für sich selbst.

FIELDS OF THE NEPHILIM entfernen sich von Vergleichen

Doch schon bald machen sich die fünf Musiker aus dem britischen Stevenage, Hertfordshire, auf, auch „The Nephilim“ hinter sich zu lassen und wiederum neue Wege und Ausdrucksmöglichkeiten zu finden: Schon ein gutes halbes Jahr später erscheint die Single „Psychonaut“, auf dem FIELDS OF THE NEPHILIM einen noch dichteren, moderneren und zugleich experimentelleren Sound wagen. Das dritte und in der „klassischen“ Besetzung finale Album „Elizium“ schließlich führt diese Suche mit anderen Mitteln fort.

06.01.2021

- Dreaming in Red -

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