Fates Warning - Long Day Good Night

Review

Soundcheck November 2020# 3

Vergessen wir für einen Moment, dass aus Bandkreisen gerüchtet wird, “Long Day Good Night” könnte womöglich das letzte Album von FATES WARNING sein. Die Prog-Metal-Legende ist immer für Wendungen und Überraschungen gut. Schließlich hat gut zwei Jahrzehnte lang niemand damit gerechnet, irgendwann mal wieder einen FATES-WARNING-Gig im “Awaken The Guardian”-Line-up zu sehen und auch das sollte uns noch erfüllt werden. Da die inzwischen über den Erdball verstreut lebenden Herren in über 35 Jahren Bandgeschichte aber noch nie ein ernsthaft schwaches Album veröffentlicht haben und zuletzt mit “Theories Of Flight” in der Form ihres Lebens waren, könnte sich “Long Day Good Night” allemal als verfrühtes Weihnachtsgeschenk für alle Prog-Nerds erweisen.

“Long Day Good Night” – Hoffentlich kein Abgesang für FATES WARNING

Es gibt zwei Arten von Songs auf “Long Day Good Night”. Die vorab veröffentlichte Single “Scars” steht stellvertretend für die knackigen, melodischen Prog-Ohrwürmer, die das kongeniale Duo Jim Matheos (Gitarre) und Ray Alder (Gesang) bereits mit Stücken wie “Eye To Eye” (von “Parallels”) oder “Seven Stars” vom letzten Album perfektioniert hat. In diesem Bereich sind FATES WARNING auf diesem Album mal mehr (“Glass Houses”) und mal weniger packend (“Liar”) unterwegs. Mit “Shuttered World” haben sie zudem einen ihrer besten Songs dieser Machart, der auch ein potenzieller Live-Kracher wäre, auf der Platte gleich an zweiter Stelle platziert.

Wesentlich interessanter sind jedoch die vielen experimentierfreudigen und unerwarteten Songs auf “Long Day Good Night”. Das entspannte “Now Comes The Rain” hätte auch auf dem unterbewerteten “Inside Out”-Album stehen können; das mit Trip-Hop-Elementen versehene “When Snow Falls” hingegen auf “Disconnected”. Als weitere Highlights lassen sich “Alone We Walk” nennen, das mit rhythmisch pulsierenden Gitarren-Patterns eine sich immerfort steigernde, spannende Atmosphäre aufbaut sowie das melancholische, mit cineastischen Streichern versehene “Under The Sun”. Dass in Sachen Longtracks auch bei ihm längst nicht alles gesagt ist, beweist Songwriter Jim Matheos mit der farbenfrohen Achterbahnfahrt “The Longest Shadow Of The Day”.

“Long Day Good Night” ist eine solide Mischung aus Bewährtem und Gewagtem

“Long Day Good Night” bietet durch und durch solides FATES-WARNING-Material, das durch lediglich zwei Punkte verhindert wird, zum ganz großen Wurf zu werden (was bei dieser Band immer noch überdurchschnittlich gut ist, versteht sich). Erstens war “Theories Of Flight” schlicht ein kohärentes Volltreffer-Album, das erst einmal getoppt werden will. Zweitens enthält “Long Day Good Night” stolze 13 Songs, was bewirkt, dass Nummern wie “Liar”, “Begin Again” oder “Scars” neben den weniger traditionellen Songs etwas blass wirken. Unterhalb des Niveaus von dem guten ‘Comeback’-Album “Darkness In A Different Light” (2013) gelangt “Long Day Good Night” zu keiner Zeit. Die wieder von Jim Matheos selbst besorgte Produktion sowie das Artwork sind darüber hinaus – wie üblich bei FATES WARNING – superb. Wenn man bedenkt, dass Matheos erst letztes Jahr ein großartiges ARCH/MATHEOS-Album aus dem Ärmel schüttelte, fragt man sich, warum dieser hyperkreative Geist überhaupt ans Aufhören denkt.

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30.10.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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