Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
„Ist das noch Punk Rock“, fragten DIE ÄRZTE um 2012 herum einmal ganz offen (und musikalisch). Die gleiche Frage kann man sich sicher aus dem ein oder anderen Blickwinkel hinsichtlich des Full-Length-Solodebüts von Farin Urlaub fragen, der mit „Endlich Urlaub!“ 2001 erstmals ohne ärztliche Begleitung seiner Hauptmitstreiter in voller Länge zur Sprechstunde bat und dessen ursprüngliches Cover, auf dem ein brennendes Gebäude zu sehen war, übrigens im Rahmen von 9/11 entschärft worden ist. Im Gegensatz zur heute geläufigen RACING TEAM-Iteration hat er den Rock-Anteil der Musik komplett selbst eingespielt und lediglich die Bläser Gastmusikern aus den Reihen von THE BUSTERS überlassen. Daher dürfte es nicht wundern, dass „Endlich Urlaub!“ also doch recht vertraut klingt.
Sein Name ist Urlaub
Dennoch lässt sich feststellen, dass „Endlich Urlaub!“ eine ganze Reihe von verschiedenen Stilen bedient und dabei durchaus mal stilistisch jenseits vom Rock wildert wie in „Der Kavalier“, wo wir wieder bei der eingangs paraphrasierten Frage angekommen sind. Ist es denn Punk Rock? Farin Urlaub kann seine Wurzeln auf diesem Album nur schwer verbergen, was sich ganz besonders auf den rockigeren Stücken wie dem peppigen wie frechen „Strand“ oder dem politisch geladenen „Lieber Staat“ herauskristallisiert. Gleichzeitig schwingt aber eine Experimentierfreude mit, bei der man das Gefühl hat, dass da eine ganze Menge an Ideen eingeflossen sind, die stilistisch nirgendwo sonst hereingepasst hätten und denen sich Urlaub auf diesem Album mit viel Liebe zum Detail gewidmet hat.
Knackige Rocker sind natürlich dabei, es klingt eben schon ein bisschen wie die ÄRZTE-Songs aus Farins Feder, aber etwas weniger auf den Punk fixiert. Das erlaubt ihm etwas mehr Beinfreiheit beim Rocken, sodass „Sumisu“, vom Titel her eine japanisierte Lautmalerei von THE SMITHS, tatsächlich nicht nur textlich als Ode an ebendiese Band verstanden werden kann. „Ich gehöre nicht dazu“ liebäugelt zwischenzeitig mit einer gewissen Latin-Ästhetik, ist im Kern aber eher ein feister Disco-Rocker mit treibender Hook und einer „Ich kann nicht tanzen“-Thematik, die dank Urlaubs Witz und Charisma jedoch auch über 20 Jahre nach Ersterscheinung vergleichbare Songs wie VERSENGOLDs „Hey Hanna“ immer noch locker in die Tasche steckt.
Für jede Stimmung was dabei
Ein richtig klassischer, wuseliger Ska-Punker verbirgt sich hinter „Wunderbar“, der einfach so ohne Umwege ins Gebein fährt, dass man dabei kaum still sitzen kann, wenn man nicht gerade zum Black-Metal-Hören in den Keller geht. Ebenfalls in die Ska-Richtung geht „1000 Jahre schlechten Sex“, wenn auch zumindest anfangs etwas behäbiger, fast ein bisschen in Richtung THE POLICE gehend. Es ist zudem einer der überzogensten Rache-/Breakup-Songs, die ich kenne, und steckt voller zeitloser, zitierbarer Zeilen. Näher an dem, was man als Pop-Punk bezeichnen könnte, ist „Glücklich“ gebaut, wird jedoch in den Strophen durch atmosphärische Synth-Beats aufgebrochen.
Doch nicht minder interessant sind eben die deutlich weiter vom ÄRZTE-Wirkungsradius abweichenden Songs. Auf der Härteskala weiter oben steht „OK“, das fast Metal-Charakter erreicht. Es hat ein bisschen was von den späten SUCH A SURGE zu „Alpha“-Zeiten, auch weil es textlich etwas ist, was durchaus von den Braunschweigern hätte stammen können. „Phänomenal egal“ ist auf der anderen Seite dieser Skala platziert, nämlich eine Akustikballade, die man als Anti-Lovesong bezeichnen könnte. Das wiederum hätte von einem früheren J.B.O.-Album stammen können, etwa „Meister der Musik“, ich denke da vor allem an eine etwas subtilere Variante von „Ich glaube du liebst mich nicht mehr“. Besonders gelungen (und damit im Kontext herrlich ironisch) sind diese wundervollen, mehrstimmigen Gesangsarrangements.
Farin Urlaub legte ein wunderbares Album für sonnige Tage vor
Das weiter oben angesprochene „Der Kavalier“ ist ein mehr an Country bzw. Bluegrass angelehnter Track mit schön angestaubt ratternder Akustik-Instrumentierung. Der wohl ungewöhnlichste Song der Platte dürfte wahrscheinlich das Soundtrack-artige „Und die Gitarre war noch warm“ sein, dessen Intro vor allem ganz klar von der Arbeit von Ennio Morricone beeinflusst ist. Wie sich die wortlosen Gesänge zur Akustischen erheben, klingt einfach so sehr nach Spaghetti-Western, dass man das Tumbleweed schon durch durch die staubige Prärie rollen sieht. Der Track wandelt sich dann aber in einen Trompeten-lastigen Rocker um mit kurzem James Bond-Schlenker, der dennoch gut was hermacht.
Zeitgenössisch wurde „Endlich Urlaub!“ an vielen Stellen als ein Album für zwischendurch bezeichnet, als Summe seiner Teile. Und auch wenn sich schwer dagegen argumentieren lässt, so ist gerade die Lockerheit und Selbstverständlichkeit, mit der Farin Urlaub hier alles unter einen Hut gebracht hat, bemerkenswert und hat das Album erfrischend gut altern lassen. Der eine wirkliche Durchhänger der Trackliste, „Das schönste Mädchen“, ist gut verkraftbar angesichts einer ansonsten durchweg spaßigen, hervorragenden Trackliste, in der wirklich für jeden was dabei sein dürfte. Wer ein deutschsprachiges Rock-Album für sonnige Tage sucht, sollte diesen Klassiker also mal wieder auskramen. Beziehungsweise kennenlernen.
Der Tippfehler „Hauptmistreiter“ ist im Kontext zu den Ärzten sehr passend.
Danke für den Hinweis. Ist korrigiert.