Faith No More - Angel Dust

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

Mike Patton hatte sich zwar im Vorfeld schon u. a. mit MR. BUNGLE als virtuoser und vielseitiger Sänger erweisen können, doch so wirklich wahrgenommen hat ihn ein größeres Publikum erst mit seinem Einstieg in FAITH NO MORE, mit denen er 1989 mit „The Real Thing“ nicht nur seinen Einstand, sondern auch den Durchbruch verbuchen konnte. Er ersetzte damit Chuck Moseley, der zuvor aufgrund seines immer unberechenbarer werdenden Verhaltens gegangen worden ist, was er den Kaliforniern lange – im Grunde genommen bis zu seinem tragischen Tod – übel nahm. Doch der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte und Mike Patton erwies sich als Glücksgriff für die Band. Und damit sollte es nicht aufhören: Während „The Real Thing“ noch die Funk-Metal-Wurzeln der Band deutlich erkennbar in sich trägt, hat „Angel Dust“ schon einen wesentlich experimentelleren Charakter inne.

Als FAITH NO MORE ihren ikonischen Stil formten

Das liegt unter anderem an der stärkeren Einbindung Pattons in den Songwritingprozess. Doch dadurch kriselte es weiter im Bandgefüge, denn Gitarrist Jim Martin gefiel diese neue Richtung, in welche die Kalifornier mit diesem neuen Album gehen würden, ganz und gar nicht. Besonders sauer stieß ihm die gewichtigere Bedeutung, die Pattons Rolle als Sänger zugemessen worden ist, auf. Und das spürten die übrigen Bandmitglieder natürlich. In einem Interview von 2016 dementierte Bassist Billy Gould das hartnäckige Gerücht, dass während der Aufnahmen zu „Angel Dust“ bereits einige Session-Musiker an der Gitarre zu hören gewesen seien. Sämtliche Gitarrenlinien würden von Martin stammen. Doch letzten Endes kam es, wie es kommen musste und Martin wurde 1993 von der Band via Fax gefeuert.

Dennoch betourte er mit der Band bis dahin noch das Album, das im Juni 1992 schließlich das Licht der Welt erblicken und für FAITH NO MORE den größten internationalen Erfolg bedeuten sollte. Weitreichende Bekanntheit hierzulande erfuhr die Band dabei auch durch ihr COMMODORES-Cover „Easy“, das mir schon unzählige Male als Rausschmeißer begegnet ist, wenn die Kneipe der Wahl irgendwann so am frühen Morgen unter den ersten, verhaltenen Sonnenstrahlen ihre Sperrstunde verkündet hat. Dabei steckt hinter „Angel Dust“ natürlich einiges mehr, immerhin ist der Titel nicht zufällig gewählt. „Angel Dust“ sei der wunderschöne Name einer hässlichen Droge (Phencyclidin), wie Keyboarder Roddy Bottum es beschrieb. Entsprechend passte sich die Gestaltung des Artworks diesem Thema, dieser Dualität zwischen Schön und Hässlich, an.

„Angel Dust“ – Ein Album der Gegensätze

Und das sollte auch die Musik widerspiegeln. Es ist auf der einen Seite klar ein Metal-Album, im Vergleich zum Vorgänger mit deutlich tighteren Gitarren und Rhythmen. Die Funk-Komponente ist etwas mehr in den Hintergrund gerückt, kommt aber dennoch regelmäßig zum Vorschein wie etwa in „Land Of Sunshine“, „Midlife Crisis“, „Be Agressive“ oder „Crack Hitler“. Ergänzend finden nun aber auch deutlich reichhaltigere Einflüsse z. B. in Form von Samples klassischer Musik in den Sound hinein und stellen dank der zum Teil richtig ansprechenden Harmonien das Schöne im Sound dar. Beides wird allerdings selten plump gegenüber gestellt, sondern geht eine komplexe, jederzeit songdienliche Symbiose ein, in deren Mittelpunkt Mike Patton steht und mit der sich FAITH NO MORE als Vorreiter des modernen Crossovers erweisen sollten.

Patton wandte teilweise erstaunlich methodische Ansätze zum Schreiben der Texte an. Die vermutlich bekannteste Anekdote im Bezug auf „Angel Dust“ dürfte die betreffs „Land Of Sunshine“ und „Caffeine“ sein, deren Texte Patton in einem selbstauferlegten Zustand des Schlafentzuges geschrieben hat. Der Opener „Land Of Sunshine“ besteht dabei aus Textfetzen, die Patton aus Auszügen eines scientologischen Persönlichkeitstest sowie diverser Glückskekse zusammen gesammelt hat. Unterdessen nimmt er in „Caffeine“ deutlich expliziter Bezug auf diesen Schlafmangel. Er habe sich nach eigener Aussage unter anderem inspirieren lassen, indem er mit seinem Auto in eine verwegene Gegend gefahren sei, dort geparkt und einfach nur die Menschen beobachtet habe, wobei unter anderem Cafés eine hilfreiche Quelle gewesen seien.

Doch FAITH NO MORE fügten diese Gegensätze gekonnt zusammen

Die Magie hinter „Angel Dust“ ist, dass es praktisch ein virtuoser Alleskönner ist. Es hat poppigere Songs wie „Everything’s Ruined“, „Kindergarten“ oder „A Small Victory“, die sich jedoch allesamt in puncto Stimmung voneinander unterscheiden. Die alte Funkigkeit greifen von den o. g. Stücken vor allem „Be Aggressive“, ein Song über Fellatio übrigens, sowie „Crack Hitler“ am offensivsten auf, nicht jedoch ohne der neuentdeckten Experimentierfreude Einzug zu gewähren. Mal wird es heavy und düster wie in „Caffeine“, „Smaller And Smaller“, „Malpractice“ oder „Jizzlobber“, wobei Patton vor allem in den beiden letztgenannten seine berühmten Vokalkontorsionen eindrucksvoll zur Schau stellt. Und dann gibt es noch das etwas albern klingende „RV“ sowie die Neueinspielung des gleichnamigen Themas des US-amerikanischen Dramas „Midnight Cowboy“.

Übrigens wurde das COMMODORES-Cover „Easy“ erst auf einer Wiederveröffentlichung von 1993 als Bonustrack hinzugefügt. Musikalisch und kommerziell ist „Angel Dust“ zweifellos das wichtigste Album für FAITH NO MORE. Selbst wenn unsereins den Vorgänger aufgrund seiner Konsistenz vorzieht, so steht außer Frage, dass die Kalifornier mit „Angel Dust“ einen entscheidenden Schritt in ihrer musikalischen Entwicklung unternommen und – wichtiger – diesen gekonnt umgesetzt haben. So ganz vom Funk weg kamen sie damit zwar nicht, aber die Spuren, die der Funk in dieser Platte hinterlassen hat, verleihen ihr dann letzten Endes doch den wiedererkennbaren Charakter, zumal sich Patton von seiner Anthony Kiedis-Intonation weg und hin zu seinem deutlich expressiveren Stil bewegt hat.

In jedem Falle sollte man dieses Stück jüngerer Musikgeschichte zusammen mit „The Real Thing“ dringend nachholen, sollte man es verpasst haben.

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14.04.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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