Fäulnis - Letharg

Review

Galerie mit 15 Bildern: Fäulnis auf dem Summer Breeze Open Air 2016

Willkommen in der Rubrik für Ungewöhnliches. Das heutige Thema: „Letharg“, die Verfilmung der gleichnamigen FÄULNIS-MCD aus dem Jahr 2005. Nun, drei Jahre später, erscheint via Dreadful Media ein „Letharg“-Kurzfilm. Es handelt sich hierbei, so seltsam das erst klingen mag, im Grunde um die Verfilmung der Vertonung der Verschriftlichung eines psychischen Totalausfalles. Alle drei, Film, CD und Text sind auf ihre Art und Weise „das Portrait eines psychischen Totalausfalles“, was nicht zuletzt auch der Subtitel der MCD ist.

Dass diese Veröffentlichung in die Rubrik für Ungewöhnliches gehört, wird eigentlich schon klar, bevor man sich intensiv damit auseinander gesetzt hat. DVD-Veröffentlichungen von Bands sind in wohl 99% aller Fälle die Mitschnitte von Livekonzerten, oder aber Boni von regulären Alben. Verfilmung eines Songs – da denkt man spontan einfach nur an ein Musikvideo. Aber auch das ist „Letharg“ eben nicht.
Nun aber genug der einleitenden Worte, jetzt soll die vorliegende DVD endlich unter die Lupe genommen werden. Nebst Kurzfilm finden sich dort ein Making Of mit Interviews, eine kommentierte Bildergalerie und Kostproben anderer FÄULNIS-Veröffentlichungen.

Der Kurzfilm wurde von den jungen Filmemachern Bjarne Wilking und Nikolai Nivera gedreht, vor der Kamera steht der ebenfalls junge Stephan Kunze. Der erinnert, auf den ersten Blick, ein wenig an Klaus Kinski. Das Haar wehend und schulterlang – so hat man Kinski zuletzt auf der bekannten „Jesus Christus Erlöser“-Tournee gesehen. Allerdings ist der Protagonist weit jünger als Kinski es damals war. Weitere vergleiche will ich hier allerdings gar nicht ziehen; einerseits wäre der junge Stephan Lenze dabei eindeutig im Nachteil, andererseits gehen die Parallelen über einen flüchtigen Eindruck der äußeren Erscheinung auch kaum hinaus.
Ab der ersten Sekunde merkt man dem Film an, dass die Macher sich bemüht haben, die Stimmung des Stückes in den Film zu transportieren. Das gelingt ihnen stellenweise vorzüglich, in anderen Passagen wiederum kaum. Die Konsequenz der Stimmung des Musikstückes – depressiv, resignierend, düster, negativ – kann für die Filmemacher nur eine sein: den Film in SW zu drehen. Dass die Filmemacher das auch getan haben, ist ein logischer, notwendiger und atmosphärisch sehr gelungener Schritt. Da der Film über keinen weiteren Text als den des Songs selbst (ein Textbuch ist bei der DVD enthalten) hat, sind die Bilder das stärkste und wichtigste Ausdrucksmittel des Films. Das hat zur Folge, dass die Kameraführung von dem, was man aus dem Fernsehen gewöhnt ist, stark abweicht. Besonders in der frühen Phase des Stückes gibt es kaum Kamerabewegung, stattdessen einen starren Ausschnitt, in dem die Handlung geschieht. Diese Bildausschnitte, die oft eine recht lange Zeit bestehen bleiben, erwecken den Eindruck von Fotos. Fotos, die sich bewegen. Ein Stilmittel, das sich bei dieser Verfilmung sehr bewährt.
Überhaupt, der Kameraführung kann man nur Gutes nachsagen. Sie liegt, so möchte man meinen, am Puls des Geschehens, spielt im Rhythmus der Musik. Das ist sehr schön zu erkennen, wenn Bewegung und Schnitte bei einer Steigerung der Musik häufiger zum Einsatz kommen, beim gesprochenen Part im Mittelteil aber praktisch gar keine Rolle spielen.

Was Bewegung, Gestik und Mimik betrifft, kann auch der Schauspieler auf voller Linie überzeugen. Der Gesichtsausdruck ist authentisch, die Bewegungsabläufe stehen im Einklang mit dem Gefühl der Musik. Wo Stephan Lenze allerdings traurigerweise auf voller Linie versagt ist der Textpart. Diese wurde nicht aus dem Musikstück eins zu eins übernommen, sondern von ihm selbst gesprochen. Wer sich der MCD noch entsinnen kann, wird sich erinnern, dass, begleitet von einem monotonen Rauschen im Hintergrund, ein Erzähler hörspielartig die Situation schilderte. Seine Stimme dabei, was mich damals recht begeisterte, ist distanziert und gleichgültig, und dennoch, auf eine seltsame Art und Weise, absolut betroffen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der Betroffene selbst ist, der von der Situation erzählt und sich dabei so weit von sich selbst entfernt hat, wie es nur möglich ist. Betroffener und Beobachter zugleich. Das gelingt im Film nicht. Nicht einmal im Ansatz. Zwar ist der Maßstab vielleicht zu hoch, aber auch ohne den Vergleich mit FÄULNIS‘ eigener Angehensweise ist dieser Part nicht gelungen. Die Stimme wirkt gekünstelt, irgendwie ironisch und vorallem überhaupt nicht betroffen.

Diesen Textpart ausklammernd allerdings muss man feststellen, dass die Verfilmung von „Letharg“ wirklich gelungen ist. Die Atmosphäre wird über diverse Stilmittel gekonnt transportiert. Jeder, die die CD-Veröffentlichung schon gut fand und neugierig ist, wie die Verfilmung wohl ausschauen mag, sollte sich auf jeden Fall mit der DVD befassen. Es ist nicht zuletzt auch ein mutiges und ambitioniertes Unterfangen und sticht aus der Veröffentlichungsflut heraus.

Der interessanteste Bonus auf der DVD ist natürlich das Making-Of mit diversen Interviews mit den Beteiligten. Wer sich für die Hintergründe interessiert, für den ist das willkommenes und tatsächlich auch sehr interessantes Futter. Allerdings erfüllt dieses Extra noch eine weitere Funktion: es entmystifiziert. Ich zumindest begrüße das sehr. Wer hinter Black Metal noch heutzutage stets den unnahbaren, mystischen und weltfernen Übermenschen vermutet, der wird hier erschüttert. Dann am Ende stellt er fest: das sind ganz normale Menschen im Studentenalter mit kurzen Haaren und sanfter, freundlicher Stimme, die rauchen, Bier trinken, Witze erzählen und herzhaft lachen. Für denjenigen, der diese Erkenntnis nicht gewinnen muss, bieten die Interviews eine Fülle an weiteren Infos, die eine willkommene Bereicherung der DVD sind.

Fazit: eine Empfehlung für alle, die neugierig sind und die FÄULNIS-Musik nicht schon grundsätzlich ablehnen. Die DVD selbst gibt es bei Dreadful Media für gerechtfertigte zehn Euro, das Paket mit der MCD kostet 14 Euro.

13.10.2008

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