Evergrey - Escape Of The Phoenix

Review

Da ist es wieder, das alte Dilemma des Rezensenten. Man hat eine Platte fünf Mal oder häufiger gehört, versucht einen möglichst objektiven Eindruck zu gewinnen und ein dazu passendes abschließendes Urteil zu fällen. Nach ein bis zwei Monaten zeigt sich dann aber, dass die Acht-Punkte-Platte seitdem nie wieder angehört wurde oder aber nach wie vor in intensivster Dauer-Rotation läuft. Im Falle von „The Atlantic“, der letzten Veröffentlichung von EVERGREY, passierte letzteres. Die Reaktion von Mastermind Tom Englund, nach einem äußerst gelungenen Konzert im Hamburger Logo darauf angesprochen, dass die Acht möglicherweise doch ein Punkt zu wenig war: Ein Grinsen und die Worte „Yeah, it’s a grower, right?“. Recht hat der Mann! So stellt sich nun die Frage: Besitzt der Nachfolger „Escape Of The Phoenix“ wieder die gleichen Langzeitqualitäten?

EVERGREY – Zeug zum Klassiker?

Spoiler-Alarm: Auch in dieser Rezension wird sich das nicht abschließend klären lassen, trotz häufigen Hörens der gesamten Scheibe. Eines stimmt aber schon einmal mit dem Vorgänger überein: Auch Studioalbum Nummer zwölf der Göteborger zündet nicht sofort. Genau diesen Platten sagt man ja nach, dass sie retrospektiv betrachtet am ehesten das Zeug zum Klassiker haben.

Die erste Vorab-Single „Forever Outsider“ taugt sicherlich als Opener, als Vorbote jedoch nur bedingt, da es sich zwar um einen soliden Song handelt, aber auch nichts, was wirklich aufhorchen lässt. „Where August Mourns“ sorgt dafür bereits ab Einsatz des Gesangs von Meister Englund für erste Gänsehaut-Attacken und bleibt sehr viel eher im Gehörgang hängen. Gleiches gilt übrigens auch für die dritte Videoauskopplung „Eternal Nocturnal“, hier wurde demnach mit einem deutlich glücklicheren Händchen agiert.

Ein etwas zweischneidiges Schwert ist das Feature mit DREAM THEATER-Sänger James LaBrie. Natürlich, ein Gastbeitrag von ihm lag auf der Hand, werden beide Bands doch gerne miteinander verglichen. Das Ergebnis „The Beholder“ ist sicher auch nicht misslungen, allerdings harmonieren die beiden Stimmen nicht so gut miteinander wie erwartet, zumal die Parts von Herrn LaBrie ohnehin nicht gerade üppig ausfällen. Vielleicht sind die Erwartungen an ein so lange herbeigesehntes Duett aber auch einfach nicht erfüllbar.

Definitiv hervorzuheben: Das gefühlvolle, balladeske „You From You“, das nicht nur gesanglich unter die Haut geht. Gitarrenzauberer Henrik Danhage übertrifft sich hier erneut selbst und legt ein derartig packendes, ausladendes Solo hin, das spätestens bei dem Gedanken an die Einlagen des Mannes auf der letzten Tour erneut für Gänsehaut-Alarm sorgt. Ein absolutes Album-Highlight, das dann auch über den ziemlich belanglosen Rausschmeißer „Run“ hinweg sehen lässt.

Große Melodien mit minimalen Abnutzungseffekten – „Escape Of The Phoenix“

„Escape Of The Phoenix“ fällt gegenüber seinem Vorgänger qualitativ sicherlich nicht wirklich ab. Alle Trademarks sind vorhanden: Große Melodien, schreddernde Riffs, bewegender Gesang und fantastische Gitarrensoli, deren Einordnung in der Gesamtdiskographie sich noch nicht wirklich abschätzen lassen. Dennoch, so ehrlich muss man sein – ein paar minimale Abnutzungseffekte schleichen sich mittlerweile doch ein, da sich der Stil, abgesehen vom gelegentlichen Schrauben am Härtegrad, in den letzten paar Jahren kaum bewegt hat.

Natürlich, Fans bekommen das, was sie erwarten, allerdings könnte ein wenig frischer Wind, ein wenig mehr Experimentierfreude EVERGREY durchaus mal wieder gut zu Gesicht stehen, damit auch auf kommenden Alben keine Langeweile aufkommt. Ansonsten gilt natürlich trotzdem eine unbedingte Kaufempfehlung, vor allem für alle, die auch bisher mit dem Sound der Göteborger etwas anfangen konnten!

18.02.2021

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

Exit mobile version