Der Erzfeind des Musikkritikers ist die Zeit. Viel zu oft will sie einfach nicht vergehen, wenn man sich eine Scheibe anhört, welche künstlerisch den Wert eines doppelt verbrannten Toastbrotes besitzt – und dann gibt es diese seltenen Gelegenheiten, in denen 101 Minuten vergehen wie ein Augenblick. Und doch ist keine Zeit genug, um den Inhalt zu erfassen. Dafür reichen nicht die mir anberaumten zwei Wochen, dafür reichen nicht fünf Jahre. ESOTERIC sind eine der begnadeten Bands, die es immer wieder schaffen, die Zeit wie ein lächerliches, inkonstantes Etwas aussehen zu lassen, nur erfunden, um die Abläufe der Dinge einordnen zu können.
Doom ist ein Genre, in dem nicht gespielt, sondern zelebriert werden muss, um Atmosphäre und Gefühl entstehen zu lassen und ESOTERIC sind schon seit ewigen Zeiten eine unumstrittene Größe auf diesem Gebiet. Die Stärke dieses Albums ist, dass sich jeder Song, ach was sage ich, jedes klangliche Detail, jede Nuance des Hörbaren und Unhörbaren, in das Gehirn des Kunstliebhabers einprägt, Bilder beschwört, beinahe alle Sinne, inklusive Phantasie, für sich vereinnahmt – man wird selbst zum Teil der Kunst. Jeder nimmt für sich etwas anderes wahr, erschafft sich seine eigene Welt samt Geschichte und Zukunft zu diesem Werk.
Es gibt keine passenden Worte, um zu beschreiben, was die Gitarren zu dieser oder jener Stelle spielen, wie sich die einzelnen Songs voneinander unterscheiden, was hier und da für Samples oder Breaks eingesetzt werden – alles wird nebensächlich im Vergleich zu der schier surrealen Wucht, der Vielschichtigkeit, die sich zu jeder Sekunde offenbart. Man kann sich Jahre mit diesem Werk beschäftigen und sich immer wieder überraschen lassen von Details oder sogar ganzen Spannungsbögen, die einem noch nicht aufgefallen sind.
Für mich bisher das absolute Highlight des Jahres, das sogar REVEREND BIZARRE hinter sich lässt. Wahrhaft ein einzigartiges, monolithisches Stück Kunst, auch dadurch, dass Experimente gemacht werden, die für viele wie Tabubrüche aussehen, das Genre (und die Musikwelt) aber genau dadurch erweitert, bereichert, noch tiefsinniger werden lässt. Ich ziehe meinen Hut und die Höchstnote für dieses wunderbare Erlebnis.
Nach einigen Wochen regelmäßigem Hören stehe ich immernoch fassungslos vor diesem Werk wie ein kleiner Satanist vor einer riesigen Cthulhu-Statue 😉
Es stimmt einfach alles, lange epische Stücke, perfekte Growls, die psychedelische düstere Stimmungm, und der Abwechslungsreichtum, der erst nach mehrmaligem Hören wirklich auffällt, und die unglaublich intensiven Passagen, Höhepunkte, Steigerungen und gelegentliche (Tempo-)Wechsel.
Kurz: bisher hatte ich keinen Zugang zu Esoteric, jetzt liebe ich dieses Album und in die anderen muss ich mich noch länger reinarbeiten..
Was ich auch noch empfehlen muss:("Nautic Funeral Doom") ist Ahab, einfach mal bei last.fm den Track "Below the sun" anhören.