Es war Mord - Unter Kannibalen

Review

ES WAR MORD werfen mit „Unter Kannibalen“ ihr erstes Album unters Volk. Punk Rock steht auf der Karte, düsterer Punk Rock der alten Schule, direkt aus der Hauptstadt und genauso riecht, klingt und schmeckt die Musik auch. Aufgenommen wurde von Tom Schwoll und Thomas Götz (BEATSTEAKS, NINAMARIE) und bekannt sind Sepp, Dietmar, Markus, Tom und Stunk nicht aus Funk und Fernsehen sondern durch ihre Bands SKEPTIKER, VORKRIEGSJUGEND, KUMPELBASIS, ZERSTÖRTE JUGEND, SITUATIONS, JINGO DE LUNCH, PORNO PATROL, NO ALLIGANS und THE REST. Die eingangs verwendete Riff-Hommage an „Seven Nation Army“ ist auch der einzige humoristische Ansatz, denn ansonsten ist die Stimmung eher wütend, über enttäuscht zu anklagend. Der denkende Mensch hat wenig zu lachen dieser Tage.

Konsequent gegen den Trend

Was an ES WAR MORD besonders anachronistisch ist, ist neben dem herrlich organisch scheppernden Sound in erster Linie die Gabe, gute Geschichten zu erzählen. Wo andere Punkbands mit Parolen drohen oder fragwürdige Weisheiten zücken, verstehen ES WAR MORD es, den Hörer wirklich in den Bann zu ziehen. Sänger Stunk gibt nichts auf vorhersehbare Melodien, spricht einzelne Teile statt sie zu singen und trifft mit seinem vehementen Dagegen-sein trotzdem immer genau den Punkt. Ohne auf eingängige Hooks verzichten zu müssen, schlägt zwischendurch immer wieder der Pogo-Hammer ein und es gibt geplante Powerchords-Strecken direkt mit Anlauf vor die Füße gebrettert. Das ist (Kopf-)Punk pur, aber kleine Schlenker markieren sinnvolle Ausschläge Richtung Hard Rock oder Post-Punk.

Geschichten über die Stadt unter der Stadt

Man hat das Gefühl mit Stunk ein paar Bierchen zu zischen und sich unverbindlich über eigene Erlebnisse und frustige Gedanken auszutauschen. Und zwar ohne gleich in Wutbürgertum zu verfallen oder die blutige Revolte anzuzetteln. Selbst simple Zusammenfassungen wie „Da wo man hobelt, fallen Spänen“, „Müllers Esel, der bist du!“ oder „Da ist das Blut an den Fahnen und alle machen mit“ wirken ihm nicht in den Mund gelegt, sondern werden im Kontext schlüssig und ausreichend ausgeführt.Die Texte sind also schlau und zeitlos formuliert – Sag’s halt einfach so, wie es ist.

Es gibt realistische Einschätzungen mit einer gehörigen Kante Kompromisslosigkeit, allesamt (mehr oder weniger) auf die persönliche Situation übertragbar. Es geht um Parallelgesellschaften, die Tatsache, das viele Menschen sich abgehängt fühlen („Substanbul“), um die Frage von Schuld („Gier“), Verantwortung und Mitschuld („Das Blut An Den Fahnen“). Bei „Schlecht Ist Besser“ wird es sogar stark philosophisch – wie viel deines Charakters ist vorbestimmt, wie viel beeinflusst von dir selbst und wie viel von anderen? Selbst Freunde von TURBOSTAAT werden mit „Freitag Der 13te“ und „Rosige Gesichter“ durch leicht fiebrige Riffs mit Hang zur Melancholie zufrieden gestellt.

Keine leichte Kost, kein neuer Trend und gerade deshalb stark!

Dass ES WAR MORD sich weder auf die Seite der Besserwisser noch auf die der Krawallmacher schlagen, ist eine feine Gratwanderung, die leider heutzutage nicht mehr viele Bands hinbekommen. „Unter Kannibalen“ ist musikalisch wie inhaltlich uneingeschränkt zu empfehlen und wird aufgrund der lebendigen Dynamik und unkonventionellen Vielseitigkeit sicher noch häufig die Runden in der Anlage drehen dürfen. Wer in der oben genannten Flut von Referenzen noch keinen Anreiz gefunden hat, dem seien noch NO°RD mit „Dahinter die Festung“ als aktueller Vergleich an’s Herz gelegt.

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27.06.2017

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2 Kommentare zu Es war Mord - Unter Kannibalen

  1. Bluttaufe sagt:

    Hm, liest sich interessant! Allein schon die Tatsache SKEPTIKER, VKJ und ZJ als Namedropping. Schade, dass man kaum was bei Youtube findet – zumindest fand ich nur einen Live Song. Erinnert mich irgendwie an KOMMANDO KAP HOORN, welche ähnlich düsteren aber dennoch treibenden (HC-) Punk zocken.
    Müsste man mal im Auge behalten.

    https://www.youtube.com/watch?v=PFpWx8FR3qE