Enslaved - In Times

Review

ENSLAVED nehmen mit ihrer Veröffentlichung „In Times“, immerhin bereits Album Nummer Dreizehn dieser norwegischen Ausnahmegruppierung, einmal mehr eine sprichwörtliche Häutung vor: Man streift den bisherigen musikalischen Schuppenpanzer ab und präsentiert eine neue, unverbrauchte und verblüffend düstere Haut. Für die Beschreibung der Musterung dieses neuen „Kleides“ greife ich einmal auf ein scheinbar widersprüchliches Begriffspaar zurück, welches mir in einem völlig anderen Zusammenhang über den Weg lief, jedoch einen Bezug zu „In Times“ sofort erkennen ließ: barocker Minimalismus – hier nicht im direkt musikalischen Sinne gemeint (nein, ENSLAVED setzen nicht plötzlich Oboe und Cembalo ein), sondern eher um Konzept und Wirkung von „In Times“ zu erfassen soll diese Beschreibung dienen, die als opulente, stilistisch ausschweifende und grenzenauflösende Prägung einerseits, aber auch die bewusste Reduzierung und wirkungsvolle Fokussierung andererseits, daherkommt.

Denn was die Herren auf „In Times“ alles verarbeiten: Progressiven Rock, soundtrackartige Kulissen, folkloristische Einflüsse und düster-wavige Ansätze. Nicht von ungefähr scheint sich da eine Parallele zum von Ivar Bjørnson kurierten Roadburn Festival-Freitag zu ergeben – vertreten sind hier ganz unterschiedliche Kapellen wie die FIELDS OF THE NEPHILIM, WARDRUNA, VIRUS und SÓLSTAFIR. Es scheint, als hätten ENSLAVED bei ihrer Reise auf der Progressive Metal-Autobahn von BlackMetalhausen nach ULVERstadt eine Ausfahrt bei Kilometer 1983 genommen um sich zu orientieren und man trifft in einem verwunschenen Dorf auf einen verschrobenen Postpunk-Zirkus. Gemeinsam hat man sich dann ein Programm erdacht: Der Opener „Thurisaz Dreaming“ prescht zunächst mit Blastbeats voran, immer wieder unterbrochen von hymnischen und mehrstimmigen Gesang. Das folgende „Building With Fire“ eröffnet mit eingespielten Amboss-Klängen und kehrt anschießend die treibende, groovende Seite der Band in den Vordergrund, „One Thousand Years Of Rain“ bietet dann eine kleine Verschnaufpause und liefert eine Komposition, die auch gut auf die „Ruun“ gepasst hätte. „Nauthir Bleeding“ bringt seichte Gitarren als Eröffnung und steigert sich in ein wahrhaft vertracktes, progressives Monstrum. Dann folgt der Titeltrack und denkt man „Na, was kann denn jetzt noch kommen…“: Ein Hammer wie „InTimes“. Der Hörer wird hier erfreut mit spacigem Einstieg, getragenem und verträumtem Mittelteil und zehn Minuten musikalischem Wahnsinn – ein echter Gänsehautsong. Das abschließende „Daylight“ klingt dann beinahe wie ein Versprechen auf das weitere Schaffen der Band: Ein etwas zurückhaltenderer und unauffälligerer Titel, dadurch aber ein gelungenes Abschlussstück.

Drohte das musikalische Schwert der Nordmänner nach „Riitiir“ ob stellenweise auftretender Wiederholungen und latent fehlender Leidenschaft bereits ein wenig abzustumpfen, gibt man sich auf „In Times“ unglaublich variabel, inspiriert und unterhaltsam. Dabei ist besonders bemerkenswert: Die Ohrwurmmomente, die verblüffenden Aufhorcher, die magischen Momente sind auf „In Times“ so dicht gesät wie selten zuvor in der Geschichte der Band. Das macht „In Times“ zu einem ungewöhnlich leichtgängigen ENSLAVED-Album, aber dadurch vielleicht auch zu einem der nachhaltigsten und wirkungsvollsten – zudem können alle Beteiligten ihre individuelle Klasse einbringen, seien es die markanten Soli von Ice Dale oder der abwechselnde Klar- und Grunzgesang von Kjellson und Larsen, immer wieder unterstützt von mehrstimmigen Chören. Erfrischend wäre allerdings eine etwas differenziertere Produktion gewesen, um den einzelnen Protagonisten etwas mehr Raum zum Atmen zu geben – das bekommen andere, ähnlich komplex angelegte Bands einen Tick besser hin (OPETH schallt es da aus der hintersten Ecke meines Verstandes).

Dennoch: Die dichte Atmosphäre von „In Times“, das hohe Unterhaltungsniveau und das spannende Songwriting machen „In Times“ zu einem zeitlosen, aber dennoch frischen und modernen Album. Somit ist „In Times“ eine Platte, das einer Ausnahmeband würdig ist – ENSLAVED brechen damit auf zu neuen musikalischen Ufern: Das aktuelle Werk ist eine Reise in das Herz der Finsternis – faszinierend, geheimnisvoll und intensiv.

03.03.2015

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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