Enslaved - E

Review

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“Wir trennen uns von der Vergangenheit. 2016 war das 25-jährige Bandjubiläum von ENSLAVED, und das stellte einen wirklich wichtigen Punkt für uns und die Fans dar. Aber jetzt steuern wir neue Horizonte an…“ (Ivar Bjørnson)

Einfach „E“ betiteln die Norweger ENSLAVED ihr mittlerweile vierzehntes Studioalbum, das dieser Tage das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Einiges hat sich getan im Hause ENSLAVED seit dem Vorgänger „In Times“: Nach dem Ausstieg von Keyboarder und Clean-Sänger Herbrand Larsen, der Veröffentlichung des Live-Albums „Roadburn Live“, der Sleeping Gods-EP und der Neuauflage des Debütalbums „Víkínglígr Veldí“ haben ENSLAVED eine Art neue Baseline gezogen. Die Phase ab dem  2003er-Werk „ISA“ bis zur 2015er-Veröffentlichung des Vorgängers zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass dem Black Metal-Gerüst der Band zunehmend progressive Elemente hinzugefügt wurden. Dabei blieb dieses Gerüst jedoch weitgehend bestehen, wurde nur behutsam von Album zu Album erweitert. Nun jedoch werfen ENSLAVED einiges an Struktur und Erbe über Bord – und lassen psychedelische und progressive Elemente so weit wie nie zuvor in ihren Sound.

Anleihen von BATHORY bis HAWKWIND

Deshalb sollte man sich von der spartanischen Namensgebung des Albums nicht täuschen lassen: „E“ ist ein echter Brocken. Stillstand ist ja bekanntlich Rückschritt – und ENSLAVED machen mit „E“ einen ordentlichen Satz nach vorne. Da geht es einmal von BATHORY über HAWKWIND, über Black Metal-Ausbrüche zu spacigen Synthesizer-Passagen, von Growling über Klargesang zu mehrstimmigen Backvocals – es scheint, als würden ENSLAVED auf ihrem vierzehnten Album alles in den Ring werfen, was die eigene Kreativität so hergibt. Das Ergebnis ist zugegebenermaßen schwer verdaulich, aber durch und durch sättigend und nahrhaft – und „E“ hält, um in dieser Analogie zu bleiben, lange vor. Dafür bringen ENSLAVED auch einfach das nötige Handwerkszeug mit: Begeisterung für den Prog der 1970er, Wurzeln im Black Metal der 1980er und mit dem neuen Keyboarder Håkon Vinje (SEVEN IMPALE) frische Ideen, die anscheinend ganz wunderbar zu den elektronischen Ausflügen von Bandkopf Ivar Bjørnson mit BARDSPEC passen. Zudem haben Bjørnson und Bassist Grutle nie ein Geheimnis daraus gemacht, welchen massiven Einfluss die Musik der 1970er-Jahre auf sie hatte, egal ob RAINBOW oder KRAFTWERK. Hinzu kommt die Fähigkeit von ENSLAVED eine regelrecht explodierende Energie zu transportieren – eine starke Mischung, wie „E“ zeigen soll. Dabei benötigt das aktuelle Werk nicht mehr als sechs Songs und fünfzig Minuten Spielzeit: Aber die haben es wahrlich in sich, denn länger ist dieses Spektakel – absolut positiv gemeint – kaum auszuhalten.

„E“ bietet sechs Tracks voller Energie und Leidenschaft

Der Opener „Storm Son“ führt sphärisch in das Album ein, legt nach und nach eine Schicht an Instrumentierung obendrauf – und legt dann unverkennbar ENSLAVED los. Gefälliges Mid-Tempo, stimmungsvoller Hintergrundgesang, nicht allzu viel Variabilität, insbesondere im repetitiven Mittelteil nicht. Ein Song zum Einfinden, zum Ankommen, alles aufgesetzt auf der routiniert eingesetzten Black Metal-Basis. Vielleicht ist der Titel auch deshalb nicht zuletzt als Vorab-Single ausgewählt worden, um die Brücke zwischen „In Times “ und „E“ möglichst nachvollziehbar zu schlagen. Aber bereits hier findet man dieses neue Element, diesen markanten Synthesizer, der in „Storm Son“ entweder Sturmgeräusche oder leichte Melodien über den Song legt. Das fast zwischenspielartige „The River’s Mouth“ ist folgend ein eher gradliniger Song: Eine wohlgefällige Grundmelodie, ein energiegeladener, vorwärtstreibender Titel  – und mit fünf Minuten Spielzeit der kürzeste Titel des Albums.

„Sacred Horse“ – der Kern von „E“

„Sacred Horse“ lässt dann erstmalig so richtig die Muskeln spielen: Ice Dale schließt mit seiner fulminanten Sologitarre den psychedelischen Mittelpart dieses Titels ein, der aufgrund des Hammond-Klangs Assoziationen mit OPETH aufscheinen lässt – der Band, die ebenso ihre musikalischen Wurzeln soweit streckte, dass irgendwann etwas ganz neues dabei herauskam. Der dritte Titel auf „E“ wogt dabei hin und her, baut auf, reißt ein und steuert letztlich auf einen fast rituell anmutenden Ausklang. „Sacred Horse“ ist zweifellos das Kernstück von „E“, dieser Titel zeigt am deutlichsten, wie gut sich das neue Konzept der Band zusammenfügt. „Axis Of The World“ schließlich wählt mit seinem Progressive Metal-Solo zu Beginn eine unerwartete Eröffnung, der in einen melodiösen Mittelteil mündet. Hier zeigt der Backgroundgesang sogar leichte Anleihen an GHOST, so geschmeidig setzt Neu-Keyboarder und Klarsänger Vinje seine Stimme ein. „Feathers Of Eolh“ gönnt sich dann einen sphärischen, klargesungen Mittelteil, der im Gegensatz zu den vielen Ausbrüchen auf „E“ geradezu grotesk anmutet und das abschließende Highlight einläutet: „Hiindsiight“.

ENSLAVED (2017)

Ein bisschen Death Doom hat noch gefehlt? Na, das hat ENSLAVED einfach für den Rausschmeißer aufgehoben. Doomiger Einstieg, sphärisches Zwischenspiel – und dann: Saxophon. Genau, dieses Ding aus Messing, das auch IHSAHN und SHINING (NOR) so gekonnt mit extremer Musik verbinden. Kjetil Møster, aufstrebender norwegischer Jazz-Saxophonist,  steuert auf „E“ ein paar Klänge bei. Hätte man hier natürlich auch mit einer Gitarre lösen können – wäre dann aber langweilig, oder? Und damit es auch standesgemäß zu Ende geht, holt man für den rituellen Schlussteil von „Hiindsiight“ eben Einar Selvik (WARDRUNA) dazu, der für einen angemessenen, stimmungsvollen Abschluss sorgt – der auch ja im Gedächtnis bleibt. ENSLAVED wissen, wie man’s macht.

ENSLAVED klingen spannender als je zuvor

Auffällig ist die neue Arbeitsteilung der Band: Während das Schlagzeugspiel von Cato Bekkevold und der Bass von Sänger Grutle Kjellson, unterstützt von Ivar Bjørnsons Gitarre, das schaukelnde Schiff ENSLAVED in den tosenden Gewässern von „E“ auf Kurs halten und die Richtung vorgeben (die sich zugegebenermaßen auch mal ruckartig ändern kann), arbeiten sich Keyboard und Sologitarre durch geradezu psychedelische Stürme. Die Verehrung der Band für progressiven Rock, von KING CRIMSON bis PINK FLOYD, war sicherlich niemals deutlicher zu erkennen. „E“ ist damit auf einem extremen Niveau deutlich verspielter und unberechenbarer als der Vorgänger „In Times“, der eher zielgerichtet und fokussiert zu Werke ging.

All das, was nun nach „Viel“ klingt, endet auf „E“ nicht in einer beliebigen Zitateschlacht und Aneinanderreihung von Ideen, die noch irgendwie untergebracht werden mussten. „E“ ist ein eigener Kosmos, der unverkennbar ENSLAVED ist, aber der auch unverkennbar den letzten Stand einer kontinuierlichen Entwicklung dieser Band abbildet. Und die Einschätzung von ENSLAVED selbst, dass mit „In Times“ tatsächlich eine Ära zu Ende gegangen ist, nämlich die, die versucht hat Black Metal  progressiv zu transformieren, ist letztlich vollkommen zutreffend. Und halten wir noch eins fest: ENSLAVED haben hörbar Lust daran, neue Grenzen auszuloten – ein Zug, den man dem Album an sich, dem Konzept (an dieser Stelle wäre eine ausführliche Beleuchtung der Bedeutung des lateinischen Buchstabens „E“ und der Rune „Ehwaz“ angezeigt, würde aber den Rahmen sprengen) und jedem einzelnen Titel anhört.

Somit ist „E“ etwas völlig Grenzenloses, ein kraftvolles und aufregendes Werk extremer Musik – und damit mit Sicherheit der Beginn einer neuen Ära für ENSLAVED.

01.10.2017

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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5 Kommentare zu Enslaved - E

  1. SaGi sagt:

    Einspruch, euer Ehren!
    Nach „In Times“ wirkt „E“ gradezu einschläfernd.
    „Grenzenlos“ ist das Ganze und das erwarte ich auch von Enslaved. „Kraftvoll und aufregend“ hab ich leider nur in Teilen entdeckt.
    Vinje kann seinem Vorgänger Larsen bei den cleanen Vocals bei weitem nicht das Wasser reichen,
    Saxophon ist seit Ihsahn und Shining auch nicht mehr wirklich innovativ, sondern eher nervig störend und
    im ganzen wirkt das Album eher erzwungen verkopft, als dass es für einen weiteren Evolutionsschritt bei Enslaved taugt.
    Was bleibt sind Grutle und die natürlich nach wie vor musikalischen Fähigkeiten der Band.
    Sorry, das ist halbgar.

    6/10
    1. Alex sagt:

      Ich würde eher sagen „al dente“. Eine vorzügliche Speise, die uns hier vorgesetzt wird 🙂

      9/10
  2. hrawth sagt:

    Der obigen Plattenkritik würde ich komplett zustimmen, wenn „Hiindsiight“ auf mich nicht so zerfahren-ziellos wirken und mit seinem Saxophon an den Nerven zerren würde. Ansonsten haben mich die ersten beiden Songs schon bei ihrer jeweiligen Premiere gepackt, die Nummern 3 bis 5 zwar erst nach dem dritten Durchlauf, dafür aber dann mit Macht.

    „Axis of the Worlds“ und „Feathers of Eolh“ empfinde ich als die stärksten Songs auf „E“, und gemessen an meinen – nicht allumfassenden, aber auch nicht allzu beschränkten – Kenntnissen des Enslaved-Backkatalogs zählen beide für mich zum Besten, was die Bergener bislang veröffentlicht haben.

    Klare Kaufempfehlung!

    8/10
  3. hypnos sagt:

    hey, was habt ihr gegen das Saxophon? ich will mehr davon!

  4. Stendahl sagt:

    Die neue Enslaved ist grandios. Im Gegensatz zu Opeth verzichten sie nicht auf ihre dornigen Stärken. Gemeine Vox, wunderbare Clean-Vox und wie Hammonds und Sax eingesetzt werden, ist geil. Der Ausklang von „The River’s Mouth“, das Sax-Solo in „Hiindsiight“ und Grutles grimmige Phrasierung, dazu dieser fette Mix aus Drums, Riffing und Gewaber, das stimmt sehr fein.

    10/10