Ensiferum - Victory Songs

Review

Mal ganz ehrlich: freuen wir uns nicht alle manchmal wie ein Kleinkind, wenn uns ein ebensolches einen Schleich-Ritter in die von Schlachtengetümmel nicht mehr mit der vollen Anzahl von Fingern bestückte Hand drückt und wir endlich mal ein Alibi haben, eine ordentliche Sandburg bauen zu dürfen? Oder über den Lego-Ritter in der Kellogsschachtel, den wir liebevoll hin und herwenden? Nun, an derartig regressive Bedürfnisse vor allem des reiferen Mannes appellierten schon immer die Finnen von ENSIFERUM. Wobei die Heidenhorde ja jüngst mit Petri Lindroos den Sänger von den Speed-Melodic-Deathern NORTHER in ihren Reihen willkommen hieß. Würde sich dadurch (und durch weitere Rotation einiger Bandmember bedingt) der bewährte Stil ändern, dem durch Ex-Sänger Jari Mäenpää, nun Bandleader von WINTERSUN, seinerzeit deutlich der nordische Morgenstern, genauer gesagt der heimatliche Stempel, aufgedrückt wurde? Das soeben veröffentlichte Drittwerk der rasenden Finnen nennt sich „Victory Songs“. Unendlich gespannt werfen wir also die Scheibe in den Schacht.

Das ruhige Intro „Ad Victoriam“ bietet Pferdegetrappel, Donner, klassische, heldenhafte Akustik mit folkloristischem Anklang. Heroische Chöre sind im Hintergrund zu erahnen. Der Morgen scheint aufzugehen, Schlachtendrums erklingen, Hall, Pomp, Opulenz. Und dann gehts los. Und wie. Mit „Blood Is the Price Of Glory“ erlebt der Hörer einen Ritt durch den grün schimmernden Erlenhain, den silbern blinkenden Fluss zur Seite, blitzende Lanzen, Standarten, Schilde, Schwerter zur Seite, immer weiter vorpreschend, die schwarzen Schergen ein Stück voraus. Fanfaren schmettern, Fahnen wehen; es ist Sommer, man ist jung und kann Berge versetzen. Der Opener ist schnell, hart und mit großartigem Refrain versehen. „Deathbringer From The Sky“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, hat etwas weniger Tempo, der Chorus enthält zudem Power Metal-Vibes, was jedoch äußerst gut passt, es ist ein gelungenes Spiel mit dem Genre, eine heimliche Liebe sozusagen. Und auch mit anderen Sparten wird spielerisch verfahren, Black-, Death-, traditioneller Heavy Metal, Viking, alles wird genutzt, wenns nur leuchtet, spiegelt, mitreisst. Das Break ist klasse, mittelalterlicher Reigen läßt kurz Atemholen.

Aber wirklich nur kurz. Denn „Ahti“ galoppiert wieder, Peter faucht, er passt in die Band wie der Edelknappe zum Roten Ritter. Die Struktur des Gesanges, der Wechsel von Keifvocals und Growls erinnert hier an NERTHUS. Folk wird aufgefahren, mit Hall, still können ENSIFERUM nicht sein; immer müssen stolz die Schwerter gezeigt werden. Flöten eröffnen „One More Magic Potion“, sogleich wird es wieder euphorisch, enthusiastisch nahezu, die Rückkehr von der Schlacht wird besungen. Obwohl, gekämpft wird eigentlich nie. Nur galoppiert, dafür ständig. Den Zustand könnte man als permanente Verheißung betrachten. Der Refrain bildet wehmütige Emotionen ab, die Midtempopassage mit heroischen Chören läßt innehalten, aber wieder nur kurz. Denn da sind tatsächlich noch welche übrig, die unsere neuen vom Burgunder-Haus-Zwerg Regin mit soviel Inbrunst über Jahre geschmiedeten Schwerter noch nicht gesehen haben. Also schnell hin zum Lagerfeuer: „The Wandarer“ zeigt die Zuneigung der Band zu BLIND GUARDIANS „A Past And A Future Secret“. Wenn im Refrain „Endless Night“ intoniert wird, möchte man sterben vor Glück. Erhabener gehts nicht mehr. Und dann das Solo, Weltklasse, Metal pur, laut drehen, den Tränen freien Lauf lassen, der Luftgitarrist versteht sich von selbst…

„Raised By The Sword“ treibt uns wieder vorwärts, nach dörflichem Intro klappern die Schwerter, und nicht zu knapp. Und wieder solch ein majestätischer Refrain, reigenhaft begleitet; ein überraschend angelegtes stimmungsvolles Break nach SUMMONING-Art baut nur auf entfernten Drums und leise schwebenden Keys auf, Ferne erzeugend. Böse sind ENSIFERUM nicht. Die Schwerter wollen natürlich trotzdem gerne gezogen werden, im Sommer, am Lagerfeuer, im Wald, auf dem Anger. In „The New Dawn“ bekommen wir ein Break der Extraklasse geboten und textlich Stahl zu spüren, doch die Gefahr ist immer auf der Flucht vor unseren Silberschellen und grün-rot-gold schimmernden Standarten. Im letzten Track „Victory Song“ ist der Sieg unser, wir können absitzen: nach langem instrumentalen Akustik-Intro nehmen ENSIFERUM Fahrt heraus, liefern einen Choral zum Mitsingen und bestechen durch das finnisch intonierte Finale. Auch äußerst gut. Da können einfach keine anderen Bands des Genres mithalten. ENSIFERUM sind schneller geworden als auf „Iron“, vielleicht einen Tick weniger variabel oder experimentierfreudig, obwohl sie so dermassen viele der obengenannten Stile zusammenmischen. Besonders gelungen sind die zahlreichen nordischen Folkloreparts und die Anspielungen auf ENNIO MORRICONES Filmmusik; selbige hat ERNSIFERUM ja schon auf den ersten beiden Alben gern augenzwinkernd zitiert. „Victory Songs“ kann daher Anhängern solch unterschiedlicher Bands wie MOONSORROW, THYRFING, FINNTROLL, EINHERJER, EQUILLIBRIUM, FALKENBACH oder MANEGARM wie auch traditionellen Power Metal-Hörern ans metallisch schlagende Herz gelegt werden. Ach ja, ich habe mir bereits meine kleine Armee von Schleich-Rittern zurechtgelegt, denn es geht nun in den Buddelkasten…

12.04.2007
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