Man mag es kaum glauben, aber diesen Sweetspot im Grind zwischen animalistischer Wildheit und pfiffigem Songwriting zu treffen ist eine erstaunlich diffizile, delikate Angelegenheit, die schnell in einer langweiligen Zuschaustellung von Aggression enden kann. Verschiedene Bands gehen mit dieser Herausforderung unterschiedlich um. Es gibt solche die sich an klassischen Blaupausen der Marke NASUM, PIG DESTROYER oder NAPALM DEATH orientieren. Es gibt solche, die auf pure, unverdünnte Aggression setzen. Und dann gibt es andere, die ihrem Grind andere Elemente beimischen, die das Songmaterial dann allein aufgrund ihrer Anwesenheit aufpeppen. Die aus einer Passion für die Wildheit des Grinds heraus im kalifornischen Fresno um 2016 herum gegründeten ELDER DEVIL haben sich dazu entschieden, eine ordentliche Prise Sludge in ihren Grind zu integrieren. Wer jetzt aufgeregt aufgesprungen ist und an SOILENT GREEN denkt, sollte sich erst mal hinsetzen, vielleicht aber dennoch weiterlesen.
ELDER DEVIL präsentieren sich mit einer viszeralen Grind-Mixtur
Denn die Kalifornier zeigen auf „Everything Worth Loving“ eine Mixtur aus Grind der metallischeren Sorte, dessen Metal-Anteile teilweise sogar überhand nehmen wie im abschließenden Titeltrack, und der Art von Sludge, die eher mit den sperrigen Klängen aus den Ecken Noise-Rock und Post-Metal verwandt ist. Das hat natürlich seine Gründe, schließlich verarbeitet Sänger Stephen Muir den Tod seiner Mutter auf diesem Album und die Band findet über diese Ventile die Möglichkeit, die zentrale Thematik über Verluste und die damit verbundenen Emotionen in all ihrer Hässlichkeit herauf zu beschwören. Das bedeutet übersetzt, dass es reichlich dissonantes, klaustrophobisches Riffing mit einigen Downtempo-Passagen gibt, die aufgrund der Natur der Sache eine geradezu beiläufige Crustiness in den Sound hinein bringen. Gleichzeitig feiern die Herren die Aggression des Grinds gebührend mit feisten Blastbeats, punkigen Backbeats und einem Hang zu desorientierenden Songstrukturen, die der Thematik getreu nicht zum hektischen Mitschunkeln gedacht sind.
„Endless Need“ verschwendet zu Beginn der Platte praktisch gar keine Zeit, sondern knüppelt ohne Umwege direkt los. Der Opener stellt das Programm des gegenständlichen Zweitlings gekonnt vor. Die Produktion klingt angemessen fies, die Gitarrenläufe lassen möglicherweise einen Hauch Stockholm erahnen und der Gesang von Stephen Muir erinnert an das aggressive Geschimpfe aus der Thrash-Ecke. Als Referenz kann hier beispielsweise Mille Petrozza genannt werden. Andererseits gibt es erwähntermaßen auch nicht nur geradlinig auf die Fresse, sondern es wird mit einigen songschreiberischen Abzweigungen gearbeitet, die sich im Sound jedoch stets sinnig ergeben. Das ist auch der Grund, warum dieses Album mit 13 Tracks in 33 Minuten für Grind-Verhältnisse fast schon als überlang bezeichnet werden kann: Die Kalifornier bringen einige Twists mit in ihren Sound ein.
„Everything Worth Loving“ repräsentiert seine düstere Thematik musikalisch hervorragend
Dabei zeigen ELDER DEVIL vor allem ein geschicktes Händchen bei ihren Tempowechsel, die einen so richtig schön mit- und im Falle der Sludge-/Doom-lastigeren Downtempo-Passagen auch angemessen herunter ziehen. In „After Flesh“ beispielsweise bringen sie eine fantastische Überleitung vom Backbeat hin zu den Blastbeats unter, die an sich eigentlich simpel gestrickt, aber wahnsinnig effektiv ist. Solche Breaks bzw. Übergänge begegnen dem Hörer ständig auf „Everything Worth Loving“, dessen Songs selbst ebenfalls wunderbar geschmeidig ineinander übergehen, mit Ausnahme vielleicht vom reinrassigen Noise-Track „Dismal And Alone“. Ein weiterer Leckerbissen sind die Riffs, die wie eingangs erwähnt gelegentlich skandinavisches Todesblei-Gesäge paraphrasieren, in den Sludge-lastigeren Passagen aber auch rechtzeitig in einen gern mit Dissonanzen versehenen Wall-Of-Sound-Modus wechseln.
Das führt zu einer Handvoll hypnotischen und/oder klaustrophobischen Stampfern, bei denen man regelrecht spüren kann, wie sehr sie mit gerinnendem Blut beschmiert sind. Erstmals begegnet einem dies beim Midtempo-lastigen, gelegentlich leicht angeschwärzt klingenden „My Body Is An Earthen Shrine“ in all seiner Vollendung. Hier kommt noch etwas interessantes hinzu, nämlich der Hang, die langsameren Passagen mit leicht melancholischen Melodien zu unterfüttern, was dem Songwriting noch einen weiteren Layer an Tiefe verpasst. Das wird beim fast fünfminütigen „Insomnia“ noch einen Schritt weiter getrieben. Der Track kommt im schleppenden Downtempo daher und lässt vor diesem Doom-affinen Backdrop die Moll-lastichen Harmonien voll aufblühen, was wiederum die zentrale Thematik des Albums bedient.
Wer mit Dissonanzen und desorientierendem Songwriting zurecht kommt, ist bei ELDER DEVIL goldrichtig
„Everything Worth Loving“ ist also ziemlich abwechslungsreich, dabei aber weise und geschickt genug, um die Abwechslung nicht einfach ohne Kontext im Raum stehen zu lasen. Dass innerhalb des Sounds das Meiste irgendwie sinnig über das Songwriting gesteuert wird und dass ELDER DEVIL das tatsächlich zum Großteil der Platte durchziehen, ist eine beeindruckende Leistung. Die Tempovariationen und die Spiele mit Dissonanzen und melancholischen Melodien sorgen immer wieder für Hooks, an denen man als Hörer gerne hängen bleibt, die aber auch den emotionalen Kern der Texte wunderbar widerspiegelt. Und die angenehm abrasive Produktion tut ein übriges, um das ganze so viszeral wie möglich klingen zu lassen, wenngleich es doch jederzeit gut hörbar bleibt. Damit haben die US-Amerikaner eine ganze Menge richtig gemacht, sodass sich „Everything Worth Loving“ für Fans extremerer Klänge definitiv empfiehlt.
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