Edge of Sanity - Crimson

Review

Nachdem EDGE OF SANITY mit dem unglaublich vielschichtigen „Purgatory Afterglow“ 1994 ihr Opus magnum erschaffen hatten, folgte im April 1996 der Nachfolger „Crimson“. Konnten die Schweden damit das hohe Niveau des genialen Vorgängers halten?

Das zweite Ringen um den Sound von EDGE OF SANITY führt zu „Crimson“ – Dan Swanö setzt sich ein weiteres Mal durch

Nachdem die vorherigen Alben, insbesondere die beiden vielseitigen und inspirierenden Meisterwerke „The Spectral Sorrows“ und „Purgatory Afterglow“, in der künstlerisch spannungsgeladenen Konstellation innerhalb von EDGE OF SANITY entstanden waren, die weit über das hinausgingen, was man unter Death Metal verstand, wollte Dan Swanö etwas Neues, völlig Eigenes erschaffen. Inspiriert höchstwahrscheinlich von Übersongs wie „Suppers Ready“ (GENESIS), „Tarkus“ (EMERSON, LAKE & PALMER) oder „Close To The Edge“ (YES), vielleicht auch beflügelt von seiner Produktion der ersten beiden Alben von OPETH, deren überlange Songs ebenfalls teils im Progressive Rock wurzelten, entsann Swanö die Idee, ein Album bestehend aus einem einzigen epischen Song zu erschaffen. Irgendwie gelang es ihm, seine Idee konsequent durchzusetzen und gleichzeitig seine Kollegen von EDGE OF SANITY zum Mitmachen zu überzeugen und damit das Album auch zu ermöglichen.

Die Legende

Die Legende besagt, dass das 40minütige, komplexe „Crimson“ innerhalb von gerade einmal 24 Stunden von Dan Swanö komponiert und geschrieben wurde. Die eigentlichen Aufnahmen entstanden in weniger als 12 Stunden im Unisound Studio von Swanö. Damals war Dan eigentlich in erster Linie als Produzent tätig, die Liste seiner Produktionen insbesondere skandinavischer Bands Mitte der Neunziger ist irre lang. Daneben hatte der vielbeschäftigte Schwede damals nebenher noch eigene Bands wie INFESTDEAD und NIGHTINGALE. Umso erstaunlicher, welche Kreativität in dem Workaholic steckte, ein solches Mammutwerk mit EDGE OF SANITY anzugehen. Beweisen mussten EDGE OF SANITY niemandem mehr etwas, taten es aber dennoch.

Das Konzept

„Crimson“ ist ein Konzeptalbum. Dan erzählt die fiktive Geschichte einer düsteren Zukunft, in welcher die Menschheit die Fähigkeit sich fortzupflangen verloren hat. Regiert von einem Königspaar, wird die Königin doch plötzlich schwanger, stirbt aber bei der Geburt, der König folgt kurze Zeit später. Das Kind muss von einem Gott gesandt worden sein, doch bringt die nach Jahren des Krieges auf dem Thron herrschende Prinzessin tatsächlich die Erlösung?

Das persönliche Epos von Dan, dargeboten von EDGE OF SANITY

Musikalisch bildet das dunkle „Crimson“ nahezu alle Facetten der Klangwelten von EDGE OF SANITY ab. Dieses Ideenfeuerwerk ist so abwechslungsreich wie komplex, bleibt dabei aber beständig im Fluss. Das vielfältige Facettenreichtum ist enorm, von reinen, stumpfen Death Metal-Passagen, aggressives Geblaste, bis hin zu fein gesponnenen, düster-melancholischen Melodien sowie komplexen Gitarrenlinien und Rhythmen, entspannte Prog-Einwürfe oder einige Akustik-Arrangements. Der Gesang variiert von tiefen Growls, teils vorgetragen von Gast Mikael Åkerfeldt von OPETH, der auch noch ein Gitarrensolo beisteuerte, sowie der majestätisch-klare, melodische Gesang. Alle Stärken von EDGE OF SANITY werden hier schlüssig miteinander vereint, interessanterweise also auch die eher brutaleren Seiten der Band. Dabei gelang ihnen das Kunststück, innerhalb des 40minütigen Death Metal-Songs nie langweilig zu werden und das Ganze spannend zu halten. Bei aller Abwechslung hält „Crimson“ aber insbesondere die Kontinuität zusammen, immer wieder wird auf das Grundthema zurückgegriffen. Ein durch und durch progressives Stück Death Metal, wie aus einem Guss. So etwas gab es bisher nicht, ein Novum im Death Metal, das Genregrenzen sprengte.

Opus mangnum Teil 2

Mit „Crimson“ konnten EDGE OF SANITY das hohe Niveau von „Purgatory Afterglow“ tatsächlich halten bzw. den Sound nochmals entwickeln. Ein Meisterwerk und ihr zweites Opus magnum. Besser konnte und sollte es danach auch leider nicht mehr werden.

23.08.2023

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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