Eden Weint Im Grab - Geysterstunde I

Review

Galerie mit 32 Bildern: Eden Weint Im Grab - Tragikomödien aus dem Mordarchiv

Ein wenig hatte ich ja nach dem großartigen ersten Album „Traumtrophäen toter Trauertänzer“ das Gefühl gehabt, die Berliner Band EDEN WEINT IM GRAB hätte die Lust am musizieren verloren. Im vier Jahre später erschienenen Nachfolger „Trauermarsch nach Neotopia“ standen die Texte im Vordergrund – größtenteils mittelmäßiger – Kompositionen, und auch „Der Herbst des Einsamen“, die an sich gelungene Vertonung von Georg Trakl Gedichten, tat ihr Übrigstes zu meiner Vermutung bei. Nun aber scheine ich eines besseren belehrt werden zu wollen: „Geysterstunde I – Ein poetisches Spektakel zu Mitternacht“ zieht sowohl konzeptionell, als auch musikalisch alle Register. Vergleiche mit EISREGEN, THE VISION BLEAK oder IN VAIN sind zwar angebracht, werden diesem wahnsinnig vielschichtigen Werk, mit seinem Versuch einem Dark-Metal-Fundament durch exotische Instrumente, Walzertakte und teils kuriosen, entrückenden Riffs Jahrmarktatmosphäre zu geben, niemals gerecht. Und während die 15 Songs im Player laufen, macht man einen Ritt durch sämtliche Genres düsterer Musik, und jede Menge obskurer Geschichten mit einer textlichen Sicherheit, die Kitsch und Peinlichkeit weiträumig vermeidet.

Doch schon in der ersten Viertelstunde muss man sich mit einer weiteren Eigenschaft vieler Songs auseinandersetzen, die man vorher gar nicht auf dem Plan gehabt hat: Monotonie. Die, auch schon zum Video veredelte, „Moritat des Leierkastenmanns“ ist da ein gutes Beispiel. Freut man sich nämlich am Anfang noch enorm über den ungewöhnlichen Rhythmus, die ohrwurmige Melodik und das gelungene Jahrmarktgefühl, muss man rasch feststellen, dass sich das Akkordschema in den ganzen vier Minuten kein einziges Mal verändert. Nicht zu einem goldenen Schnitt mit spannendem Mittelteil, und nicht für spannungsaufbauende Strophen oder einen höhepunktreichen Refrain. Und die Art wie dieses Thema dekadent verheizt wird ist kein Einzelfall: Ausgerechnet die tragenden ersten und letzten drei Songs der Platte (inklusive dem Duett mit Ex-DEPRESSIVE AGE Sänger Jan Lubitzki „Tango Mortis“) neigen dazu, viel zu lange dasselbe Schema zu wiederholen. Schon in der Wiener Klassik vor dreihundert Jahren hat sich durchgesetzt, dass man einem starken Thema ein passendes Gegenthema entgegensetzt, um dynamisch seine ureigenen Stärken hervorzuheben und gleichzeitig für Abwechslung zu sorgen. Nun kommt ausgerechnet die Band, die auf ihrem Debütalbum mit starken Songs wie „Den Herbstlaubreigen Tanzt Der Tod“ und „Monologe trüber Wortgewalt“ einen bemerkenswerten Spielwitz zelebriert hat, auf die Idee, diese goldene Regel für sich abzuschaffen.

Und das schlimme ist, dass im Mittelteil unverblümt gezeigt wird, wie „Geysterstunde I“ alternativ auch hätte werden können. „Ein Requiem in Sepia“ gehört mit seiner gelungenen Spannungskurve, inklusive Ohrwurmrefrain, zu dem Besten, was Alexander Blake bisher geschrieben hat. „Gespenster-Revue im Theater Obszön“ bringt das Konzept eingängig so auf den Punkt, dass es der bessere Opener gewesen wäre. „Friedhof der Sterne“ hat als starke Dreivierteltakt-Halbballade Gänsehautpotential und „Irrfahrt durchs Leichen-Labyrinth“ wäre mit seinen ständigen Tempowechseln und der eindringlichen Horrorfilmatmosphäre der krönende Abschluss eines jeden THE VISION BLEAK-Albums geworden. Hier kommen auch die EDEN WEINT IM GRAB-Trademarks zum tragen, die der Band eine von Anfang an respektable Fanschar eingebracht hat: Alles ist erlaubt, Überraschungen warten hinter jeder Ecke, und nichts wird auch nur ansatzweise lieblos aufbereitet. Und wer das Trakl-Album „Der Herbst des Einsamen“ mochte, wird sich auch mit den drei neuen Gedichtvertonungen „Die Knochenmühle“, „Der Galgenvogel“ und „Taphephobie“ lange beschäftigen können.

Es ärgert mich, dass eines der konzeptuell innovativsten, und clever ausgearbeitesten Dark Metal Alben der letzten Jahren unterm Strich nur eine überdurchschnittliche Wertung verdient. Hätten alle Songs die Qualität und den Spielwitz der Nummern 4 bis 12, hätte meine einzige redaktionelle Schwierigkeit darin bestanden, mir zu überlegen, ob es eine 9/10 oder 10/10 wird. Jetzt hab ich einen Haufen Ohrwürmer von Liedern, die mich nach der halben Spieldauer schon wieder langweilen. Und eine Menge Einblicke in tolle Geschichten, deren Vertonung paradoxerweise packend und dröge zugleich ist. Was bleibt ist die Hoffnung, dass die Fortsetzung des auf zwei Alben ausgelegten Konzeptes das vorhandene Potential endlich voll ausnutzen kann.

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24.04.2011

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