Eden Circus - Marula

Review

Es gibt unzählige wunderbare Geschichten, die der Metal in den vergangenen Jahrzehnten geschrieben hat – jeder kennt mindestens eine Handvoll davon, wahrscheinlich sogar mehr. Mit EDEN CIRCUS aus Hamburg schickt sich nun die nächste Truppe an, meinen persönlichen Erfahrungsschatz eben solcher Geschichten um ein weiteres Kapitel zu bereichern. Die fünf Herrschaften sind schon eine ganze Weile dabei, vor Jahren stieß ich auf sie im Zuge eines Konzertes der ebenfalls aus Hamburg stammenden NIHILING. Seitdem ist das Quintett nie von meinem Radar verschwunden – auch, wenn für eine beträchtliche Zeit nichts aus dem Norden zu vernehmen war. Eine mehr als respektabel produzierte Drei-Track-EP blieb vorerst das einzige Lebenszeichen der Band.

Mit entsprechender Freude nahm ich vor einigen Monaten die Ankündigung eines Debütalbums zur Kenntnis – ebenso wie die Tatsache, dass die Jungs in Lifeforce Records ein namhaftes Label gefunden hatten, dass ihre Musik einer breiteren Hörerschaft zugänglich machen würde. Zur Freude gesellten sich alsbald zwei weitere Gemütszustände: Stolz und Angst. Stolz, weil eine weitgehend unbekannte Band, mit der ich vor Jahren selbst noch in einem schmierigen Club die Bühne geteilt hatte, die Tür zur großen Plattenwelt einen Spaltbreit aufgestoßen hatte. Angst, weil ich befürchtete, „Marula“ könnte mich enttäuschen und die Band um das Geheimnisvolle und Exquisite berauben, das sie bisher für mich verkörperte.

Um das Ganze ein wenig zu straffen: „Marula“ hat mich nicht enttäuscht. Viel mehr noch – die Scheibe liegt seit Wochen in meinem Handschuhfach (in einem anderen Review hatte ich es schon einmal erwähnt: dort schaffen es nur wenige Platten hin) und ist seitdem so etwas wie der perfekte Soundtrack für lange, nächtliche Autofahrten geworden: Weitschweifig, nachdenklich und verträumt, dabei aber auch kraftvoll, eindringlich und packend. Dabei sind die im Beipackzettel erwähnten TOOL, KARNIVOOL und DEFTONES sicherlich zutreffende Eckpfeiler der Musik, hinzunehmen könnte man noch neuere ANATHEMA, DEAD LETTER CIRCUS sowie THE BUTTERFLY EFFECT, um das Klangbild der Hamburger einigermaßen abzustecken. Soeben genannte Zutaten versehen EDEN CIRCUS mit ihrer eigenen Note – die sich vor allem im hauchigen Organ des Frontmanns Siegmar Pohl sowie den durigen Zwischentönen in der Gitarrenarbeit manifestiert – und kredenzen daraus letztlich eine stimmige und überzeugende Mixtur mit viel Tiefgang.

Der Opener „Devoid Of Purpose“ fungiert dabei als gelungener Einstieg in die Scheibe – hier halten sich ruhige und dynamische Passagen bis auf im etwas kerniger gestalteten Mittelteil meist die Waage, das Stück besticht vor allem mit seinen feinfühligen Strophen und seiner gekonnten Zurückhaltung. In der Folge servieren EDEN CIRCUS in Songs wie dem überragenden Neun-Minuten-Track „Comfort“ oder dem rhythmischer gehaltenen, merklich TOOL-inspirierten „101“ gern auch ausufernde Parts, die nicht selten in Richtung Post-Rock schielen. Als Krönung haben beide Stücke noch absolute Hammer-Refrains im Gepäck, die durch mitreißende Melodien und viel Atmosphäre bestechen.

Weitere Höhepunkte sind der wohlig-melancholische Zwischenpart in „Summon A Ghost“, das ansonsten mit knackigem Riffing daherkommt, das über weite Strecken eingängige, rockig eingefärbte „A Shore Uncertainty“ (großartiges Finale!) sowie die beiden überlangen Schlusstracks, bei denen vor allem Post-Hörer wieder voll auf ihre Kosten kommen. Herauszuheben ist dabei zweifelsfrei „Her Lovely Hands Upon The Black Earth“, dessen unglaublich breites Spektrum sich von episch vorgetragenen Gitarrenwänden bis hin zu psychedelisch angehauchtem Prog à la STEVEN WILSON erstreckt.

Will man etwas an dieser Scheibe bemängeln, so ist es die gefühlte Gleichförmigkeit beim Tempo – denn nach mehreren Durchläufen von „Marula“ wird deutlich: EDEN CIRCUS fühlen sich vor allem in wiegenden, langsameren Gefilden wohl. Nur selten brechen die Hamburger aus diesem Rahmen aus. Möglich daher, dass das dem genrefremden Hörer ein Dorn im Auge ist – insbesondere für Post-Rock-Freunde dürfte es hingegen weniger ein Problem sein. Unter Berücksichtigung objektiver Kriterien gibt es unter dem Strich dafür dennoch einen kleinen Abzug, weswegen sich die Platte mit „nur“ acht Punkten begnügen muss. Das ändert aber wenig daran, dass „Marula“ ein großartig inszeniertes Stück Rockmusik ist, in dem man sich wunderbar verlieren kann. Und angesichts der Tatsache, dass es sich hier um ein Debüt handelt und die Herren dazu noch beim Sound alles richtig gemacht haben, muss man sich um die Zukunft des hiesigen Experimental-Segments wahrlich keine Sorgen machen. Im Gegenteil: Man darf sogar ein bisschen stolz sein.

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05.10.2014

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