Dysrhythmia - Psychic Maps

Review

Wo die Vorsilbe „Post“ draufstand, dort war sichergestellt, dass diese Form von Rock nicht rockistisch war, sondern vielmehr Rock-Dekonstruktion und ironisches Spiel mit Zeichen und Stilen, gekennzeichnet von einer Zurückgenommenheit, die dem Authentizitäts-Versprechen des Rock misstraute. „Postrock“ galt in hipness-neurotischen Kreisen – und das ist ja auch erst einmal sympathisch – als Absage an Intensitäts- oder Erlösungsversprechen, als Absage an den Macho im Rock. Will Rockmusik also als distinktionsrelevanter Bedeutungsträger noch ernst genommen werden, „muss“ sie abstrahiert und auf ihr Klangmaterial als solches reduziert werden und „darf“ dabei gerne introvertiert-jazzig-detailverfrickelt oder/und als Weitwinkel-Panorama-Breitwand-Ziellosigkeit daherkommen. Steve Albinis BIG BLACK, SLINT und vor allen anderen natürlich BASTRO hatten den Grundstein gelegt, POLVO und DON CABALLERO machten Anfang Neunziger Jahre dort weiter; letztere mit einer besonderen Betonung auf Schalldruck und Schwere, rein instrumental, durch und durch konstruiert und kühl berechnend und gerne mal mit jazzy-smoothen Chords drin – genau hier haben auch DYSRHYTHMIA aus Chicago ihren Ansatz.

„Psychic Maps“ ist das vierte Album der Herren Eber, Hufnagel und Marston, und wie immer ist die Musik darauf schwer zu beschreiben bzw. endet ein Versuch darin zwangsläufig in einer literarischen Banalisierung des Gehörten: Rockmusik ist das immer irgendwie, die von drei an Bass, Schlagzeug, Gitarre und Elektrospielzeug arbeitenden Sound-Fricklern ausgeworfen wird. An wild verzweigten Rhythmen und Strukturen sind sie interessiert; an Songs, die Landkarten brauchen; an der Zurschaustellung des eigenen Handwerks, ohne das Publikum durch Griffbrett-Akrobatik zu plätten. Denn darum geht es hier nicht. Nein, hier gibt es alles Mögliche, nur keinen Krampf.

Sie diggen nach Nahtstellen und erklären den Bruch zum Stil. Sei’s drum, es ist wunderschön, dass die Linien nicht mehr klar verlaufen – dass die Reduktion von einer Million Töne pro Sekunde etwa ein Zehntel trägt, dass sich alles mixt, paart, es durcheinander geht, Bastarde und Hybride gibt. Nichts bekommt Postrock schlechter als Purismus. Sie markieren einen Puls der Musikzeit. Definitiv. Denn selten mischte sich freie Musik so gekonnt mit Country- und Western-Zitaten, Noise-Naturalismus, Postrock-Harmonien und hypnotischem Jazz. Die grob geschätzten Referenzen TORTOISE, SHELLAC und die bereits oben genannten normativen Größen führen DYSRHYTHMIA in einer Musik zusammen, die auch in ihren freiesten Momenten immer treibend-fließend und zwingend zugleich ist: ohne ihrer Freiheit zu entsagen, klingt sie nämlich aufgeräumt. Und es rockt, rockt, rockt nach vorn. Ganz große Meisterschaft also.

Die Platte kommt so verfeinert und gleichzeitig so (relativ) Kontext-ungebunden daher, als hätte man sich vorgenommen, eine neue Klassik musikalischer Formfindung, eine Art „reine Musik“ zu entwickeln. Daraus ergibt sich dann ein gutes, abstraktes, modernes etwas, zu dem man vielleicht Artrock sagen könnte. Wenn man denn so will. Konzentration und Mitdenken der Hörerschaft ist Pflicht – beim Gebrauch als reine Hintergrundberieselung würde „Psychic Maps“ schnell zum Nervtöter. Musik, die sicherlich nicht für jede und jeden geeignet ist.

25.07.2009

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