DREAMWALKERS INC gehören für den Autor dieser Zeilen zu den größten musikalischen Entdeckungen dieses Jahres. Mit „First Re-Draft“ präsentiert die sieben(!)-köpfige Truppe ein enorm eklektisches, im wahrsten Sinne des Wortes progressives Album. Da sich die wilde Experimentierfreude hier mit einem ausgesprochen feinen Gespür für Spannung und Melodizität paart, funktioniert das Ganze auch überraschend gut.
DREAMWALKERS INC – Frech und kreativ
Bei der Vorstellung unbekannterer Bands ist es stets ein Naheliegendes, klingendere Namen zum Vergleich herbeizuziehen. Statements à la „Klingt wie eine Mischung aus DREAM THEATER und SYMPHONY X“ liest man dann häufig. Und tatsächlich ist diese gleichsam komparative Methode doch generell keineswegs ein schlechter Ansatz, musikalische Eindrücke in prosaische Schriftlichkeit zu verwandeln. Im Falle von DREAMWALKERS INC funktioniert es indessen schlichtweg nicht. Am ehesten würde man „First Re-Draft“ wohl Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem man die mehrstimmigen Chorpassagen, die theatralisch-karnevalesk anmutenden Arrangements auf SONATA ARCTICA zu ihren experimentierfreudigsten Zeiten (man denke etwa an „Unia“) bezöge, die symphonischen Orchestrationen und dramatische Epik hingegen auf die holländischen Landsleute von EPICA.
Anders als bei letzteren steht bei DREAMWALKERS INC indessen ein Herr am Mikrofon: Tom de Witt, so der Name des Masterminds, zeigt sich auf „First Re-Draft“ als ein Musiker von begnadetem Ideenreichtum. Experimentierfreudig, mit vergleichsweise kurzen, dabei aber doch äußerst komplex strukturierten Songs, kommt man nicht umhin, das Album als im positiven Sinne frech zu bezeichnen. Progressiv ist das Ganze ohne Zweifel, und doch übt man mit technischem Gefrickel starke Zurückhaltung, fokussiert sich stärker auf Aspekte des ‚Storytellings‘. Tatsächlich fühlt sich „First Re-Draft“ denn auch ein wenig an wie ein kurzer musikalischer Film.
„First Re-Draft“ – Ohrenfreundliche Komplexität
Dabei gehören DREAMWALKERS INC keineswegs zu jenen Prog-Bands, deren Sound man zwar ‚interessant‘ finden mag, sich freiwillig aber kaum jemals antun würde. „First Re-Draft“ erweist sich aller verspielten Komplexität zum Trotz insofern als ein äußerst hörerfreundliches und zugängliches Album, als ein exzellenter Sinn für ohrenschmeichelnde Melodien und mitreißende Spannungsbögen den irgendwo zwischen Absurdität und Ingenium schwebenden Digressionen perfekt die Waage hält. Auch soundtechnisch gibt es wenig zu meckern: De Witts warmer, angenehmer, an keinem Punkt übertrieben pathetisch wirkender Bariton (das Pathos übernehmen die durchaus auch ironisierend eingesetzten mehrstimmigen choralen Backings) wird hier von einer positiv organisch klingenden Instrumental- und Orchestralfraktion komplementiert.
Insbesondere der raue, beinahe live-artige Sound der Drums ist an dieser Stelle hervorzuheben. Zu einem Album wie „First Re-Draft“ mit seiner unbekümmert-genialichen Attitüde passt er indessen absolut perfekt. Auch vor dem Einsatz elektronischer Beats und Layers schrecken DREAMWALKERS INC nicht zurück. Massvoll und effektiv eingesetzt, tragen sie positiv zum eklektisch-vielseitigen Eindruck eines Albums bei, das eigentlich nur den einen Makel hat, mit gerade einmal 44 Minuten Laufzeit schlichtweg zu kurz zu sein. So fühlt sich der Closer „My Loss“ denn keineswegs wie ein würdiges Ending an und lässt den Hörer, wo nicht unbefriedigt, so doch mit dem Drang zurück, mehr von dieser obskuren Truppe zu hören. Zwei Möglichkeiten bieten sich in einem solchen Fall: Entweder setzt man die Platte einfach auf Repeat und entdeckt mit jedem Durchgang neue Fein- und Verrücktheiten. Oder man wartet und hofft bange, dass das nächste Album von DREAMWALKERS INC (der „Second Re-Draft“?) genau so stark werde!
Progressiver Einfallsreichtum, der belohnt wird
Dem nüchternen Albumtitel zum Trotz sprüht „First Re-Draft“ vor progressivem Einfallsreichtum regelrecht über. Von Dramatisch-Epischem bis zu Lustig-Fröhlichem und schlichtweg Bizarrem findet sich auf der doch recht kurzen Scheibe alles, was das Prog-Herz nur begehren kann: Frech, melodisch und annähernd unvergleichlich.
Review von Luca Schmid
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