Doctor Livingstone - Contemptus Saeculi

Review

DOCTOR LIVINGSTONE und ihre Platte Contemptus Saeculi beurteilen zu können, hat verhältnismäßig lange gedauert. Und zwar gar nicht, weil die darauf enthaltene Musik schlecht wäre, sondern lediglich enorm ungewöhnlich. Die fünf Doktoren kommen aus Frankreich und praktizieren schon seit Ende der Neunziger ihren ganz eigenen Experimental Rock der besseren Sorte, seit 2012 spielen sie im aktuellen Line-Up zusammen. Und wie die sich bei ihrem ersten Treffen auf einen gemeinsamen Sound verständigt haben, würde mich brennend interessieren

Hitzig, flirrend und irre – das sind die ersten drei Ausdrücke, die mir einfallen und damit hat man zumindest schon einen Anhaltspunkt, wie im Hause DOCTOR LIVINGSTONE getönt wird. Den Verlauf der Stücke schlicht als „überraschend“ zu bezeichnen, wäre einfallslos und maßlos untertrieben. Der Opener „Starting The Fire führt den Hörer in knappen 6 Minuten durch einen musikalischen Irrgarten, für den mir tatsächlich kaum Vergleiche einfallen. Was aber als angenehm lärmendes Post-Rock-Gepolter startet und latent nervig aus Richtung der Gitarren-Fraktion quietscht, wandelt sich von der ekligen, fetten Raupe zu einem bunten Schmetterling, der sich letztendlich elegant in die Luft erhebt und wegflattert, bevor man ihn richtig betrachten, beziehungsweise auch nur annähernd erfassen kann. DOCTOR LIVINGSTONE streifen beinahe unbemerkt und im Sekundentakt jedes erdenkliche Genre (das unten angehängte Video zeigt also nur einen Bruchteil!) und geben dem Hörer trotzdem nicht das Gefühl, irgendeinem Trend nachzuhechten oder gar planlos zu sein. Im Gegenteil – man hat das Gefühl, die Herren waren schon länger nicht mehr draußen und haben jede verfügbare Emotion über ihre Instrumente kanalisiert. Womit sich die Frage nach dem Können schon von selbst beantwortet haben sollte, denn solchen Sound kann man als Stümper weder erträumen noch spielen.

Black Metal und Grindcore sind eindeutig zu definieren, in zweiter Linie wahrscheinlich Doom und auch etwas Sludge, aber der Rest verirrt sich hilflos in kleinsten Verzweigungen des filigran-astreichen Metal-Genre-Stammbaum. DOCTOR LIVINGSTONE führen uns über Grenzen, stampfen doomig auf in He Beneath The Scenery, dreschen mit Blastbeats auf den wehrlosen Hörer ein, lassen urplötzlich irre Orgelsounds gespenstisch durch den Raum hallen (Marked By The Whip (Part III), lassen singende Gitarren alleine und ziellos im Raum stehen (By Serpents (Illumination Mea)) und haben Chöre, die gleichermaßen garstig, albern und eindringlich sind.

Gutturales Geschrei herrscht durchweg auf Contemptus Saeculi, beigesteuert von der kompletten Crew und jeder mit seinem ureigenen Stil. Soweit ich die Lyrics verstehen kann, wird zwischen Latein, englischer und französischer Sprache gewechselt. Der dominante Bass von PLCD stützt DOCTOR LIVINGSTONE enorm und stellt die einzige, wirkliche Konstante des Sounds dar. Wer auf musikalischen Eintopf der anspruchsvollen und extremen Art steht, der darf bedenkenlos zugreifen. Es macht Spaß sich mit dem sehr spannenden Werk Contemptus Saeculi zu befassen und immer wieder in Sackgassen zu geraten, verwinkelte Ecken zu entdecken, urplötzlich auf prächtigen Lichtungen zu stehen und von pittoresken Landschaften prompt ins nächste, stinkige Kellerloch gestoßen zu werden. Gleichzeitig kann man deshalb keine deutliche Kaufempfehlung aussprechen, da sich Contemptus Saeculi doch eher an den experimentierfreudigen kleinen Kreis der Kenner richtet (und sich auch etwas anfühlt, als ob man von einer Bande freilaufender Psychopathen entführt wurde, die dann glücklicherweise doch nur Musik machen).

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16.03.2014

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