Dobbeltgjenger - The Twins

Review

Dass eine Band, spezifischer der Fronter und Hauptsongwriter ein Album über Depressionen, mentale Zusammenbrüche und den berüchtigten Kampf mit sich selbst schreibt, ist in der Welt der Musik nichts Neues. Große Kunst entsteht oft aus großen Schmerzen, weshalb solche Alben üblicherweise von hoher Qualität sind, wenn sie denn aus einem aufrichtigen Impuls entspringen. Vegard Wiknes, Fronter und Sänger von DOBBELTGJENGER, hat einen solchen inneren Kampf durchgemacht und diesen mit „The Twins“, dem neuen Album der norwegischen Experimental Rocker, hörbar gemacht. Da die Jungs ihren Rock aber schon immer ein bisschen schräger gedacht haben als die Konkurrenz, haben sie das Album zudem noch irrsinnig tanzbar gemacht.

Eine Therapiestunde zum Mittanzen

„The Twins“ ist demnach eine Art Konzeptalbum über zwei ungleiche Zwillinge, die mietfrei in Wiknes‘ Psyche leben und – um die Presseinfo zu paraphrasieren, in der es doch so schön geschrieben steht – um den Fahrersitz des eigenen Lebens kämpfen. Der eine scheint von quirliger, aufgeweckter und freundlicher Natur zu sein, präsentiert dem Hörer gleich zu Beginn des Albums seine „Rocket Shoes“ und ist generell ein angenehmer Zeitgenosse. Der andere ist der „böse“ Zwilling, (selbst-)zerstörerisch und ein Aggressor, der seinen Gegenpol in „Shoot“ beispielsweise in eine Art Mexican Standoff verwickelt. Das gerät tatsächlich zu keiner Zeit plakativ, sondern bleibt angenehm intuitiv und selbstreferentiell dahingehend, dass lyrische Motive immer wieder aufgegriffen werden. Und es ist natürlich herrlich schräg.

Die meisten anderen Bands würden daraus vermutlich einen progressiven Brocken formen oder AYREON-technisch alles in verteilen Rollen singen lassen, was bestenfalls in einer unwiederbringlichen Stunde gut gemeinter Langeweile der Marke ARDARITH endet. Nicht so DOBBELTGJENGER. Sie verwandeln das ganze in eine kurzweilige, schrullige Party, die so verboten tanzbar ist, dass das Hirn direkt in die Hüftgegend rutscht und man die wildesten Assoziationen zu machen versucht ist, bevor man sich überhaupt mit des Pudels emotionalen Kern befasst hat. Zum Beispiel: „The Twins“ ist der Sound von Tobias Forge nebst Ghulen, wie sie oberkörperfrei in hautengen Leopardenhosen und stabilen Afros durch die Wüste boogien. „The Twins“ ist wahlweise auch der Sound des Nachtflugliners, wenn man Björn Strid vor dem Abflug heimlich mit JAMIROQUAI ersetzt hat.

DOBBELTGJENGER lassen „The Twins“ in die Hüfte gehen

„The Twins“ ist so etwas wie ein modernes Disco-Rock-Album, bei dem die experimentellen Tendenzen der Band so richtig ausgelebt worden sind. Die Definition seiner Einzelteile ist dabei gar nicht mal so geradlinig, wie man sich das vorstellt. Hier schwirren Assoziationen wie QUEENS OF THE STONE AGE, TALKING HEADS, aber auch Bands wie beispielsweise neuere GUERILLA TOSS oder die Boogie-lastigeren KING GIZZARD AND THE LIZARD WIZARD herum. Und zwischen drin flirrt immer irgendwas durch die Gegend, seien es luftige Synths oder mal einzelne Akkorde der Akustischen, die eine interessante Ornamentik abbilden und dafür sorgen, dass in jedem Song etwas interessantes zu entdecken gibt, wenn man nur genau hinhört.

Und das steckt in einem Album drin, das täuschend simpel anmutet, oder besser: einfach nur verdammt eingängig ist. Der Opener „Rocket Shoes“ zerrt die Hörer ohne Vorspiel mit einem funkigen Cut allerbester Güte direkt auf die Tanzfläche. Und es gibt das volle Programm: Ein durchgehender Groove aktiviert in einer pawlowschen Reaktion den rhythmischen Hüftschwung, während quirlige Melodien und mehrfach gelayerte, mit Soul durchtränkte Vocals in die Gehörgänge gleiten und dort wie ein Aphrodisiakum wirken. Das folgende „Harakiri Witchcraft“ setzt mehr auf einen reflexartig induzierten Beckenschub mit leicht gedrosseltem Tempo und etwas höherem Fokus auf Atmosphäre, wodurch sich schon leicht ominöse Vibes breit machen, die im weiteren Verlauf immer wieder auftauchen und den Einfluss des „bösen“ Zwillings zu symbolisieren scheinen.

Keine Berührungsängste: Hier wird verwurstet, was passt!

„Blood Money“ ist einer der wenigen Rocker, bei denen es etwas heavier wird. Hier kommen ein bisschen die „Era Vulgaris“-QUOTSA durch, während der Solo-Part einfach nur schweinisch rockt wie nix Gutes. Ebenfalls auf der etwas heavieren Seite beheimatet ist „Ghengis Khan“ mit seiner Hook, die etwas wahrhaft Bedrohliches ausstrahlt. Fernab dessen gefällt sich der Song, aber auch das später folgende „When You Said That You Were Fine“ darin, den Hörern einen geschäftig ratternden Beat hinzuklatschen, der ordentlich Pepp in die Bude bringt. Letztgenannter Track schlägt in der zweiten Hälfte dann noch einen Haken in Richtung 00er-Indie-Pop, etwas was DOBBELTGJENGER generell gerne tun und hier auf „The Twins“ möglicherweise konsequenter denn je in ihren Sound einbinden.

Dabei gelingt ihnen das vermeintlich unmögliche Kunststück, moderne Abarten wie Autotune in Rock-Musik tatsächlich stilvoll einzubinden. Das ist zum Beispiel eindrucksvoll in „Purplegreenish“ zu hören. Das Zauberwort heißt „Zurückhaltung“: Wiknes‘ Stimme gerade genug reguliert, um den markanten Druffie-Effekt erzeugen, aber es verkommt nicht zum Selbstzweck und zum Glück lässt er auch das unsägliche Genuschel, das speziell 99% aller Erzeugnisse aus der Trap-Sparte unhörbar macht. Und vor allem gibt es eine großartige Hook, die dem generell eher souligen Song geschmackvoll abrundet. Neuzeitlicher Pop in seiner verträumteren Form findet sich unterdessen in „Like A Crocodile“ wieder mit flirrenden Synths in der Hook, die etwas von Dan Deacon haben. Wiederum ist es den Norwegern wie auch immer gelungen, das richtig großartig umzusetzen.

DOBBELTGJENGER finden zu neuer Stärke

DOBBELTGJENGER meistern schlicht diese Balance zwischen sagenhaft tanzbaren Cuts der Marke „Shoot“, dessen Melodieführung einfach so wahnsinnig elegant runtergeht wie Öl, und ihren etwas düsteren Momenten á la „Tumbelweed“, die zwar nicht den Grad von Oppression erreichen, aber doch ein bisschen Unbehagen  verursachen. Und am Ende dieser Unterhaltsamen Gaudi gönnen sich die Norweger mit dem zurückgelehnten Rausschmeißer „Done“ die Fluppe danach, das ein klassisches Hard-Rock-Gitarrensolo mit vergleichsweise gedämpften Rock-Orgel-Riffs umschließt. Wieder flirren hier diese quirligen Synths im Mittelteil herum, die einfach eine wunderbare Ergänzung der ohnehin vielschichtigen Soundtextur darstellen.

Und es sei daran erinnert, dass das Ganze eine Art Konzeptalbum ist mit einer zentralen Thematik, die gerne zu schwermütigen Sophistereien verleitet, hier aber in Form einer ausgesprochen fidelen und tanzbaren Therapiesession umgesetzt worden ist. Vielleicht geht die Band dem einen oder anderen mit dem reichhaltigen Pop-Appeal hier und da zu weit, das mag sein. Aber er ist einfach eine wunderbare Ergänzung des Sounds und bereichert die Songs, in denen er prävalent ist, ungemein. Wenn es um die Verschmelzung verschiedenartiger Sounds in einem Rock-Gewand geht, haben die Norweger hier ein Musterbeispiel in Sachen Homogenität geschaffen, da die Übergänge praktisch nahtlos sind. Im Grunde bleibt nur, DOBBELTGJENGER im Allgemeinen und Vegard Wiknes im Speziellen zu „The Twins“ zu gratulieren.

War „Smooth Failing“ so etwas wie eine Bodenwelle auf der Strasse der Band, so geht die Fahrt mit „The Twins“ nun umso geschmeidiger weiter. Zum Wohl!

15.02.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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