Wenn der Teufel höchstpersönlich zum Tanz bittet, wer könnte da schon widerstehen? Musizierte das DIABLO SWING ORCHESTRA früher noch im Tanzsaal des Schlachters, gibt es nun Mitsingsongs für die Verdammten und Wahnsinnigen. „Sing-Along Songs For The Damned And Delirious“, so heißt das neuste Gericht aus Teufels Küche. Und, um das gleich vorwegzunehmen: das teuflische Orchester hat nicht nur die Stärken des Debüts „The Butcher’s Ballroom“ beibehalten, sondern sogar ausgebaut.
Alle Erwartungen werden mehr als befriedigt. Geboten wird (abermals) Musik, die alle Grenzen sprengt und eine unfassbare Bandbreite abdeckt. Für manch einen mag das arg nach Grotesque wirken, auf alle Fälle hat es den Charakter der musikalischen Revue – ohne zu sehr ins Aberwitzige abzudriften. Sei es Swing im Stil der goldenen Zwanziger („A Tapdancer’s Dilemma), seien es Flamenco- und Tangoklänge („A Rancid Romance“) oder sei es eine bedrohliche Operette („Lucy Fears The Morning Star“): schon in den ersten drei Songs des neuen Albums zeigt das DIABLO SWING ORCHESTRA, welch riesige Bandbreite es abdeckt. Es wäre zu viel des Guten, diese Auflistung für alle Songs des Albums fortzuführen, man darf sich allerdings gewahr sein: Es geht bunt weiter.
„A Rancid Romance“ zeigt die Band von ihrer besten Seite: beschwingt fängt er an, paart sehr tighte Rhythmusgitarren mit großartigen Kastagnetten, mündet in süffigen Tango und macht die Bühne frei für Sängerin Ann-Louice Wolgers, die ihr Leiden in der Beziehung klagt. Ihr männlicher Gegenpart steht dem im Nichts nach, sodass es rasch – wie könnte es anders sein? – zum Konflikt, zur Konfrontation kommt; der Song eskaliert im Refrain, wo beide sich im Wechseltakt die wüstesten Beschimpfungen an den Kopf werfen: „Liar! cheater! bastard child!“, das steht nicht nur im Text, das wird auch authentisch, fast übermäßig dramatisch herausgeschrien. Dramatik wird im Hause DSO so oder so großgeschrieben. Sie es die ausgebildete Sängerin, die mit ihrer wahrhaft teuflisch hohen Stimme durch die Songs führt, seien es die heftigen und absolut unvorhersehbaren Wechselbäder, in die der Hörer geworfen wird.
Die wahre Kunst des absolut wahnsinnigen Unterfangens, Fragmente aus so vielen sich grundsätzlich konterkarierenden Musikrichtungen unter eine Haube zu bringen, ist die, weder allzu konstruiert, noch lächerlich zu wirken. DSO schaffen diesen Drahtseilakt nicht nur, ohne zu stürzen: Sie straucheln nicht einmal. Das Orchester spielt mit einer unsagbaren Freude – quickfidel und höchstlebendig -, das auf eine blinde, fast traumtänzerische Art und Weise. Sie bewegen sich mit der Sicherheit des Nachtwandlers, der im Schlaf all seine Pfade findet, durch ihre Songs. Die Göteborger haben eine unheimliche Freude an ihrer Musik und lassen das die Hörer in jedem Takt spüren. Dennoch: Ihr Ansinnen ist ein Ernstes, die Intention hinter der Musik nie Komödie oder gar Satire. Das DIABLO SWING ORCHESTRA steht nicht nur hörbar voll und ganz hinter den Songs, es hat sie verinnerlicht, es lebt sie. Das ist nicht einfach nur anerkennenswert, das verdient den allerhöchsten Respekt.
Im Grunde könnte man tausende Worte über diese Band verlieren, und würde ihrer damit doch kaum gerecht. Aufgrunde dessen beschränke ich mich darauf, abschließend zu sagen, dass „Sing-Along Song For The Damned And Delirious“ nicht nur so großartig ist wie der Vorgänger, sondern diesen im Handumdrehen noch einmal toppt. Besonders gut hat es der Platte getan, dass die Sängerin ihre extremsten Gesangsparts etwas zurückgefahren hat, nun häufig gemäßigter daherkommt – und damit das NIGHTWISH-Feeling, das im Vorgänger ab und an einsetzte, keinen Platz mehr hat. Noch ein Tipp für Liebhaber: Die vielleicht größte Überraschung der Platte, das abschließende „Stratosphere Serenade“. Ein fast klassischer Prog-Rock-Song, der gerade dadurch überrascht, dass er DSO nicht einfach nur als irrwitzig überprogressive Avantgardekombo, sondern als technisch und songwriterisch verdammt gute Band mit einem Händchen für das gewisse Etwas zeigt.
Eklezistisches Jahrmarktsgedudel, gut gemacht zwar, aber geht extrem auf die Nüsse.
Eine der besten Cds der letzten Jahre. Herrlich.