DEVIN TOWNSEND wurde 1997 eine bipolare Störung diagnostiziert: Fachlich unkorrekt, aber in einfachen Worten: Höhephasen wechseln sich mit solchen extremer Depression und Lethargie ab. Ob sich dies auch in seiner Musik widerspiegelt? Ich denke schon, als Ausgleich hat er diese geradezu nötig.
The King is dead, long live the King!
Anders kann man sich weder die breite stilistische Vielfalt noch das Arbeitsethos und die musikalische Genialität des „verrückten Professors“ wohl nicht erklären. Wenn man sich die Studiovorberichte und auch die Lyrics teilweise anschaut, sieht man den nachdenklichen, vielleicht etwas desillusionierten Devin darin. Schon die Promophase, die eine Art Metanarrativ zu unserem heutigen Konsum und Umgang von und mit Kunst darzustellen scheint – wer freut oder fürchtet nicht Promophasen heute aufkommender Alben -, konnte beim Sichten des neuen, dezent verstörenden Videos zu „Genesis“ als Geniestreich oder absoluter Kreativunfall verbucht werden, je nachdem, wen man denn fragt.
DEVIN TOWNSEND ist schon seit über fünfundzwanzig Jahren Garant dafür, mit jedem neuen musikalischen Lebenszeichen etwas neues zu liefern und konsequent seinen eigenen Weg ohne Rücksicht auf Verluste zu gehen. Das ist auch mit „Empath“ nicht anders. Devin hat sich mittlerweile von seinen Mitmusikern des THE DEVIN TOWNSEND PROJECT gelöst, hauptsächlich weil die musikalischen Differenzen hier wohl zu groß waren und er sich für sein neues Projekt ganz selbst ausleben wollte.
„Empath“ – Zahlen, Daten, Fakten
Über 74 Minuten Spielzeit, 10 Tracks, das wohl längste DEVIN TOWNSEND Album bislang. Mehr als elf Gastmusiker, eingerechnet ebenfalls der Elektra Frauen-Chor und das „Lords of Sound“-Orchester aus der Ukraine, welche sich beide über fast das ganze Album ziehen. Das wohl ambitionierteste und stilistisch am breitesten aufgestellte DEVIN TOWNSEND Album bisher. Gemixt vom „Man himself“, während Produktion und Konzeption von seinem Freund und FRANK ZAPPA-Alumni Mike Keneally (spätestens jetzt sollten die Glocken klingeln) begleitet wurden, der auch mithalf, weitere Musiker auszuwählen.
Drei Drummer auf einem Track können da dann schon mal das Ergebnis sein: Von Jazz-beeinflussten Grooves eines Morgan Ågren (schon wieder eine Verbindung zu FRANK ZAPPA, das kann kein Zufall sein), über harte Metalparts, für die sich Samus Paulicelli (DECREPIT BIRTH, ABIGAIL WILLIAMS) verantwortlich zeigt, zu vertrackteren Rhythmen von Anup Sastry (PERIPHERY, MONUMENTS) und Adam „Nolly“ Getgood für den richtigen „Punch“ im Mix, liest sich das Ganze wie die „Who is who“-Liste einer professionellen Drumclinic. Manch ein Künstler schafft es in seiner Karriere nicht auf die Anzahl an Gastmusikern, die hier aufgefahren werden. Auch der Rest kann sich sehen, lesen und hören lassen: Elliot Desagnes, Steve Vai, Chad Kroeger (ja, das ist passiert), alte Bekannte wie Anneke Van Giersbergen, Ché Aimee Dorval, Ryan Dhale. Halt, noch mehr: Eric Severinsen, Zim (wer auch immer das ist), Jess Vaira, Scott Reinson.
Ist das noch Metal?
Würde man sich nur Songs wie „Requiem“, das Intro „Castaway“ oder „Why?“ herausnehmen, könnte man denken, sich im CD-Regal vergriffen zu haben. Diese Tracks haben mehr mit orchestralen Soundtracks denn mit Metal gemein. Auch ein „Spirits Will Collide“ könnte problemlos im Radio laufen. Schon bei „Genesis“, welches Überschallblasts von Herrn „OHHH YURRRRRR!!!“ Paulocelli mit diskotauglichen Beats, Chorälen, orchestralen Arrangements und der ganz allgemeinen „Weirdness“ von „HevyDevy“ kombiniert, wird klar: Stilistische Grenzen oder Kohärenz sind
was für Spießer.
Kätzchen und Kühe gibt es natürlich auch noch selbstverständlich oben drauf. Das Kunststück ist, dass stellvertretend für das Album dieser Track sich nach mehreren Durchläufen doch als schlüssig und sogar catchy erweist. Harte Parts gibt es auch noch, ob in eben genanntem „Genesis“, „Hear Me“ (das NICKELBACK-Fronter Kroeger dann doch noch mal in einem Metal-Kontext stattfinden lässt) oder dem 23-Minuten-Monstrum-von-Abschluss „Singularity“. Das sind aber eher Farbtupfer denn Hauptmittel in den Songs, auch wenn etwa genanntes „Hear Me“ rein stilistisch noch am nächsten den alten STRAPPING YOUNG LAD zugeordnet werden könnte und ordentlich Aggression mitbringt. „Why?“ klingt wie die Intonation eines Disney-Musicals von DEVIN TOWNSEND, mit den obligatorischen kurzen Metaleinbrüchen ausgestattet, wo der Herr auch mit seinem Stimmorgan glänzen kann. „Requiem“ könnte ganz in der Tradition von Klassik stehen oder sich auch vor dem nächsten Kinoblockbuster gut als Titelmusik machen.
„Borderlands“ beginnt mit einem tierischen Wecker und einem Beat, der dezent an CULTURE CLUB meets Reggae erinnert, nur um sich im Laufe zu einem Ungetüm aus orchestralen Arrangements, beinahe südländisch beschwingten Sounds, unfassbar eingängigen Riffs und ganz allgemeinem Wahnsinn zu mutieren (Babygeplänkel, Saxophon, Signalhorn? Okaaayyy…). Anders herum ist es auch nicht wirklich neu oder unerwartet, beachtet man, dass Mr. Townsend auch auf älteren Alben schon in EDM, Country, gar Pop und ähnlichen Richtungen gewildert hat und die meisten Fans jegliche Stiländerung widerstandslos mitgemacht haben.
Virtuose Genialität oder vollkommen abgehobener Schwachsinn von DEVIN TOWNSEND?
Diese Frage kann man sich beim neuen Album durchaus stellen. Problematisch ist in Sachen „Flow“ tatsächlich nur der monumental gedachte Rausschmeißer „Singularity“, der eine ganze Palette an interessanten Kompositionen auffährt, aber einfach gar keine Stringenz und roten Faden vorweisen kann und so mehr wie fünf einzelne aneinander geklatschte Songs wirkt. Siehe etwa „A Song for Ea“ von ABSU zur weit hergeholten Referenz, welcher an einem ähnlichen Problem krankt. Auch „Evermore“ kommt verglichen zum restlichen Material eher wie ein skipbarer Track daher. Bei monumentalen 74 Minuten wäre der Rotstift tatsächlich hier und da nicht schlecht gewesen, da der wirre Stil-Mischmasch zwar seine Reize im Kurzen hat, über die Zeit aber doch schon ein wenig strapaziert.
Die ganze Geschichte muss irgendwo dann eben auch aufgehen und das ist ein Drahtseilakt, der mal gekonnt geschafft wird und manchmal auch im Schritt daneben endet. „Sprite“ ist etwa wohl eine der ungewöhnlichsten Gute-Nacht-Geschichten, die je geschrieben und vertont wurde und macht musikalisch Gebrauch von elektronischen Sounds, progressiven Metal-Anwandlungen und wiedermal Filmsoundtrack-Ästhetik. Wie man dazu steht… na ja, das steht dem Hörer ganz offen.
„Empath“ wird polarisieren
Solche wilden Stilmischungen kann man nun entweder geistiger Umnachtung des Künstlers anhängen oder ihn wegen diesem Irrwitz und waghalsigem Experiment nur noch beglückwünschen. In gewisser Weise ist auch „Empath“ das musikgewordene Meme, welches (musik-)kulturelle Versatzstücke in anderen Kontexten zusammensetzt, sie referenziert, kontrastiert und damit etwas neues erschafft.
DEVIN TOWNSEND polarisiert. Das ist nicht erst seit „Empath“ so, könnte aber hiermit sicherlich wieder mehr hervorstechen. So sind bislang tatsächlich Verrisse bis hin zu höchsten Lobpreisungen aus der Fachpresse zu lesen, die Wahrheit ist wie immer wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Im Grunde machen musikalisch aufgeschlossene Devi-Fans (wozu diese sich eigentlich eh schon durch das Hören von DEVIN TOWNSEND qualifizieren) auch mit dem neuen Album wenig falsch. Leute, die aus Prinzip schon alles ohne harte Stromgitarren Scheiße finden oder wenig mit wilden Genremixen können und viel Wert auf „Reinheit“ von Genres legen, werden mit diesem Album als Äquivalent zu einer musikalischen, kunterbunten Wundertüten-Explosion sicherlich weniger Freude haben.
Zu deiner These über Devin Townsend: der Mann hat eine diagnostizierte bipolare Störung.
Das bedeutet dass er wahrscheinlich die meiste Zeit seines Lebens depressive Phasen hat die sich mit hypomanischen Phasen abwechseln. (gesteigerter Antrieb,Person wirkt evtl hyperaktiv oder läppisch .)
Die Beschreibung er habe den Classenclown über sein wahres ich gestülpt wird (zumindest meiner Meinung nach) dieser psychischen Störung nicht gerecht.
War mir tatsächlich nicht bekannt, danke für die Info (Wird dementsprechend geändert).
Danke, gerne!
„Townsend glaubte viele Jahre, unter einer bipolaren Störung zu leiden. Nach Beendigung seines Cannabiskonsums gingen die Symptome nach seinen Angaben jedoch zurück, so dass seine Ärzte von einer Fehldiagnose ausgehen.“ Wikipedia
Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen, wie?
Ja wahrscheinlich,denn hier steht ja auch die Symptome gingen zurück,nicht sie waren weg.
Wie auch immer, ganz normal ist der Herr Townsend sicher nicht und das ist auch gut so.
Das stimmt.