



In einer aus den Fugen geratenen Welt, in der Populismus und Influencer-Kultur toxisches Verhalten verstärken und Gesellschaften spalten, in der mangelnde Empathie und der Verlust von Werten zu Isolation und Ausgrenzung führen, sind Bands wie DEAFHEAVEN so wichtig. „Lonely People With Power“, der Name ihres sechsten Albums, ist ein starkes Statement.
Von einsamen Menschen mit Macht
DEAFHEAVEN: „Wenn Macht Einfluss bedeutet, haben wir eine Verantwortung, so verständnisvoll, einfühlsam und kenntnisreich wie möglich zu sein.“ Fronter George Clarke beschäftigt sich auf dem neuen Album mit der komplexen Fragestellung menschlicher Beziehungen und der Kunst des Einflusses auf andere. Der amerikanische Psychologe Gustave Gilbert erkannte in seinen 1947 mit Naziführen geführten Gesprächen die Essenz des Bösen. Die Unfähigkeit oder der Unwille, sich auf die Notlage ihrer Mitmenschen einzulassen, das Fehlen von Empathie, verband die Kriegsverbrecher untereinander.
Populistische Politiker auf der ganzen Welt, unterstützt von einflussreichen, gierigen Milliardären, nutzen heute die menschliche Selbstbezogenheit, die Verachtung für Schwache und den Hass auf Fremde. Wenn Trump Einflüsterer Elon Musik die Empathie als die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation und als Beispiel die Bereitstellung einer medizinischen Grundversorgung für Einwanderer ohne Papiere als Fehler bezeichnet, zeugt dies von beängstigender Menschenverachtung.
„Lonely People With Power“ setzt sich damit auseinander, ohne speziell den Rechtsruck der westlichen Gesellschaften zu thematisieren. Stattdessen widmet sich Clarke des Verzichts auf die Gemeinschaft zugunsten des persönlichen Fortkommens, Reichtums und Einfluss mittels Zynismus, fehlender Empathie, fehlende moralische Grenzen, Skrupellosigkeit. Das maßlose Horten von Ressourcen, das Diktat des Stärkeren und die Kontrolle von Menschen. Dann sind wir Jenseits von Eden…
Jenseits von Eden, wie auch die Musik von DEAFHEAVEN…
Die musikalische Ausrichtung von DEAFHEAVEN unterlag in ihren 15 Jahren seit Bandgründung einer steten Entwicklung. Insbesondere das zweite Album „Sunbather“ gilt als Klassiker des Blackgaze und als eines der prägenden Werke. Erhabene Schönheit zwischen der Wildheit des Black Metals und der Milde des Shoegaze.
Die letzte Stufe ihrer Evolution war mit „Infinite Granite“ (2021) erreicht, mit welchem sich die Band ein Stück weit neu definierte und nicht wenige Fans vor den Kopf stieß. Aus dem Black Metal mit deutlichen Postrock- und Shoegaze-Elementen wurde der von Kritikern als „Hipster Black Metal“ verpönte Schwarzmetall nahezu gänzlich gestrichen. Mit sensibleren Harmonien, einlullend sanft-verhallten Klängen und subtilen Dynamiken wandelten DEAFHEAVEN nun verstärkt im Shoegaze, Post- und Alternative Rock.
Aber das ist jetzt vorbei. Passend zur düsteren Thematik blickt „Lonely People With Power“ musikalisch wieder in schwarze Abgründe.
DEAFHEAVEN blicken mit „Lonely People With Power“ schwarze Abgründe…
DEAFHEAVEN haben mit „Lonely People With Power“ wieder deutlich an metallischer Härte und Wucht zugelegt, ohne dabei die Feinheiten und Dynamiken ihrer letzten Alben sowie die gesammelten Erfahrungen zu ignorieren. Es ist insofern keine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln, vielmehr eine neue, dunkle Phase. Die erste offensichtliche Veränderung – der entfesselt wirkende George Clarke schreit wieder charakteristisch emotional, eindringlich. Hochmelodische Passagen, brutale Blastbeats, intensive Riffgewitter, aufgebrochen durch ruhigere Post-Rock-Momente, dabei stets die Spannung aufgestaut lassen, stets der Atmosphäre folgend. „Lonely People With Power“ klingt verzweifelt, traurig, dunkel und wütend. Keine Frage, DEAFHEAVEN berühren, harsch und mit schwarzer Eleganz.
„Lonely People With Power“ lebt in entzauberten Zeiten von seinen magischen Momenten. Und davon bieten DEAFHEAVEN viele. In „Doberman“ zelebriert die Band ihre rohe, schwarze Nu Black Metal Kunst, trotz eingewobener emotionaler Klanglandschaften verdichtet auf das Wesentliche und mit Nachdruck vorgetragen. Man denkt an „New Bermuda“, dabei melodisch-episch feiner. „Suicidal Mania“ bricht es gequält und tief verletzt aus dem Gift und Galle kreischenden Clarke im kompakten, direkten, kraftvollen, massiv riffenden wie Blastbeatenden „Magnolia“. So harsch wie emotional zupackend.
In „Lonely People With Power“ sorgen DEAFHEAVEN aber natürlich auch für Kontraste, für weiche Brüche, dynamische Pausen. In „Heathen“ sorgen die zurückgenommenen, feinfühligen Instrumente für Ruhe und geben in den Strophen der weichen, melodisch-klaren Stimme von George Raum zum Wirken. Das wirkt zunächst verträumt, um dann lebhaft in Folge im Refrain wirkungsvoll entfesselt alles niederzureißen. Das transzendentale „Amethyst“ wächst, wird größer und größer. Elegischer Ansatz, großes Drama, umwerfende Hooks, rasende Aggressivität in butterweichem Klanggemälde, sehr cineastisch. Im brutalen „Revelator“ bilden Death-Metal-Riffs, Melodie und Noise-Intermezzo und der Gastbeitrag von Paul Banks (INTERPOL, Gitarre und Gesang) eine krasse Symbiose.
Mit dem unbehaglichen „Body Behavior“ unterstreichen DEAFHEAVEN ihr Faible für feinsinnige Melodien, eingebettet im Spannungsfeld zwischen brodelnder Härte, stürmischer Tobsucht und Zärtlichkeit. Fantastisch, wie das Schlagzeug im Kontrast zu den wuchtigen Gitarren und harschem Gesang das Tempo rausnimmt und luftig wie effektiv groovt. Das abschließende „The Marvelous Orange Tree“ pulsiert zwischen getragenen Rhythmen, mehreren Schichten Synthesizer, wirbelnden Gitarren, zauberhaften Melodielinien, einem durch einen dunklen Schleier schreienden Clarke. Hässlich und schön zugleich. Und DEAFHEAVEN typisch entwickelt sich das Stück, wird es ruhiger. Sanfter, melodischer Klargesang, der unter die Haut geht. Man ist wieder ab „Infinite Granite“ angekommen. Aber nur kurz, der raue Gesang kehrt zurück, die Härte.
Zwischen den genannten und ungenannten Songs haben DEAFHEAVEN drei verschiedene Zwischenstücke namens „Incidental“ mit Sängerin Jae Matthews (BOY HARSHER) und Paul Banks von INTERPOL.
Ein schwarzglänzender Brocken
„Lonely People With Power“ ist ein schwarzglänzender Brocken voller Tiefe und Wucht. Ohne sich für einen Stil entscheiden zu müssen, erschaffen DEAFHEAVEN mit vertrauten Mitteln vielschichtige wie anmutige Klanggebilde voller Intensität, die nahtlos fließend ineinandergreifen und zupacken. Gänsehaut!
Was für ein Album! Ich finde hier stimmt absolut alles. Sitzt bei mir direkt neben der „New Bermuda“. Sehr schöne Überraschung mit maximalem Ausloten des Gefühlsspektrums.
Also ich finde die Songs die mehr Blackgaze sind definitiv hörbarer, und Deafheaven haben da echt ein paar Songs die mich richtig abholen. Das neue Album hat auch ein paar so Songs, aber im Gesamtbild, und auf Dauer, sind mir insbesondere die Vocals zu nervig. Trotzdem gute Platte.
Großartig!
Hatte ich so nach dem letzten Album gar nicht erwartet.
War anfangs begeistert, dass es wieder hart ist, fand es dann aber zu eintönig.
Nach jedem Durchgang wurde es aber besser und besser, inzwischen heißer Anwärter auf das Album des Jahres.
New Bermuda und OCHL wird es in meinen Ohren aber wohl nicht schlagen können, aber mal sehen was die Zeit noch bringt.
Für mich klarer Anwärter auf eines der besten Alben des Jahres…