„Stay here!“ Ich sitze mit DEAD LETTER CIRCUS und „The Endless Mile“ auf dem Boden in meinem Wohnzimmer. Die ersten Töne von „The Mile“ plätschern aus meinen Boxen und fordern mich auf zu bleiben.
Ich bleibe, weil zum einen mein Teppichboden im Wohnzimmer sehr flauschig ist, aber zum anderen, und das ist viel wichtiger, um das gesamte neue Album von DEAD LETTER CIRCUS, mit dem Namen „The Endless Mile“ aufzusaugen. Die Australier veröffentlichen am 12.05.2017 ihre mittlerweile vierte full-length Scheibe. Dieses Mal haben sie sich Tracks ihrer bisherigen Laufbahn geschnappt und in neuen Variationen frisch eingespielt. Ein Best-Of was keines ist, weil alles anders ist.
Sphärisch-Atmosphärisch
Auf dem Cover das Gemälde einer verlassenen Straße, einer Straße ins Endlose. Eine optische Darstellung dessen, was sich im Inneren befindet. DEAD LETTER CIRCUS nehmen mich als Tramper ein Stück mit auf ihren Roadtrip des verwandelten, progressiven Rocks. Jedes der Songs hat sein eigenes, leicht sphärisches Innenleben. Ob luftige Gitarren, feine Violinen oder sanfte Pianotöne. Ausgespielt wird alles was DEAD LETTER CIRCUS beherrschen und wohl auch ihren besonderen Sound bezeichnen. Diesmal alles etwas ruhiger. Diesmal alles etwas smoother. Nebenbei erwähnt, gab es dafür bei acht Songs tatkräftige Unterstützung von WOLFMOTHERs Ian Peres an Orgel und Klavier.
Kein Zuckerwatten-Overload
Gut gelegte Riffs unterstützen und sorgen dafür, dass die, sich aufbauende, Atmosphäre nicht zerbrechlich wirkt. Mit dem nötigen Gefühl in der Stimme singt sich Kim Benzie durch die Lyrics. Ohne emotionaler Überdosis. Ich persönlich habe schwer etwas gegen einen emotionalen, romantischen, zuckerigen Overload, nach dem man das Bedürfnis hat sich stundenlang unter die Dusche zu stellen, um die schmachtende Zuckerwatte wieder aus dem Gehirn zubekommen. Aber DEAD LETTER CIRCUS können DAS ja. Und dieses DAS bedeutet: ruhige, sanfte, stimmungsgeladene Tracks zu entwickeln, die sich weder aufdrängen noch höllisch auf den Keks gehen. Es hüllt dich wunderbar ein, lässt dich fallen und fängt dich wieder auf. Vertontes Benzin für den Seelenmotor.
Genau, jetzt wäre sicherlich der beste Zeitpunkt um klar und deutlich zu sagen: Aus Brisbane kommt dieses Mal kein Krachmacher-Krawall. „The Endless Mile“ setzt auf leise Töne mit bekannten intelligenten Texten, die, ja ok zugegeben, ab und an leicht ins depressive Milieu abrutschen. Aber irgendwie passt das alles zusammen und ich kaufe es Benzie und seinen Männern 125 % ab. Inwiefern wir hier nun aufgrund des Sounds mehr von Alternative als von Progressive Rock sprechen, sei jetzt mal dahingestellt oder dahingesetzt, denn ich sitze ja immer noch, auf meinem Fußboden im Wohnzimmer. Die technisch, glasklar, aufgenommenen Melodien im Kopf.
Etwas Geduld fürs Zauberhafte
„Is this what you thought it would be?“ haucht Benzie in „Silence“ in formschöner Eintracht mit Streichern und Piano. Was habe ich gedacht, was es ist? Ich erwartete, dass „The Endless Mile“ schneller und geladener ist. Dafür ist es langsamer mit einer geladenen Atmosphäre.
Wer sich den Roadtrip auf der „The Endless Mile“ gönnt und Geduld mitbringt, wird belohnt. Bis es da ankommt, wo es hinsoll, dauert es zwar ein Weilchen, aber die Aussicht könnte auf jedenfall schlechter sein. Verliebte Anhänger werden sowieso zugreifen und diejenigen, die KATATONIA mögen, sollten DEAD LETTER CIRCUS neuestes Werk auch mal antesten.
Ich bleibe auf dem Boden in meinem Wohnzimmer sitzen und gönne mir mit der „The Endless Mile“ jetzt noch eine weitere Runde. Zum einen weil DEAD LETTER CIRCUS hier etwas sehr wertvolles gezaubert haben und zum anderen: Ja verdammt, mein Teppichboden ist halt echt gemütlich.
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