Es gab eine Zeit, als man nicht jedes fünfte Soloprojekt irgendeines selbsternannten Rockstars mit einer 16kbit-DSL-Leitung von russischen Seiten für lau herunterladen konnte. Das ist aus heutiger Sicht kaum noch vorstellbar, und eine Predigt über den Verfall der Zeiten würde auf einem Online-Portal auch reichlich albern wirken. Trotzdem: Ich habe diese Zeit noch in ihren letzten Ausläufern miterlebt. Man hat damals Freunde von Freunden besucht, die gerüchterweise das neue Album von Band XYZ besitzen sollten, oder zumindest eine Tapekopie davon hatten, NUR UM ES ZU HÖREN. Man tauschte Tapes wie blöd. Man schickte Briefe, handgeschrieben, und legte Cassetten bei. Eine CD-R ließ sich nicht privat nicht herstellen, oder kostete ungefähr 5 DM. Von Internet für Privatleute war nur zu träumen.
In einer Zeit VOR dieser Zeit entstanden DARKTHRONE. Das ist fast unfassbar lange her. Man stelle sich den hübschen, 14-jährigen Fenriz vor, mit den schönen großen Rehaugen, die er auch heute noch sein Eigen nennt. Als 1987 die ersten Proben seiner Band DARKTHRONE starteten, machte sich um Stile, Image und allerlei sekundäre Dinge noch kein Mensch Gedanken. Metal war einfach Metal, und Metal war in Norwegen so gut wie tot – bis auf eine Band namens MAYHEM und einige weitere Metalheads, die heute niemand mehr kennt.
Für die heutigen DARKTHRONE wird es ein magischer und leicht peinlicher Rückblick gewesen sein, die alten Demoaufnahmen für eine 3-CD zusammen zu suchen und zu editieren. Man kann den Zauber dieser Zeit nur noch ganz schwer nachvollziehen. Ein klein wenig davon blitzt auf, wenn man Ansprüche an polierten Sound und technische Höchstleistungen komplett außen vor lässt und sich in die Lage eines 16-Jährigen versetzt, der verzückt davon ist, neue Metalplatten zu hören, ein Instrument zu lernen, eigene Songs zu schreiben und die ersten Aufnahmeerfahrungen zu machen. Man hört diese Magie in dieser Compilation heraus, wenn man sich Mühe gibt. Monofeeling und Aussetzer eines Kanals, Knacken, Rauschen, Übersteuern und Schwankungen in der Qualität tun dazu ihr Übriges.
Es ist faszinierend zu hören, wie sich die jungen DARKTHRONE von ihrem ersten Demo „Land Of Frost“ an, das vollständig rumpelig, stümpferhaft, mit Schmunzeln erregenden, albern verzerrten Vocals einen mehr als urigen Eindruck macht, in rasanter Geschwindigkeit weiterentwickelt haben. Schon 1988 auf dem instrumentalen „A New Dimension“-Demo und 1989 auf „Thulcandra“ kann man eine überdurchschnittlich begabte, groovig-technische Death-Metal-Band durch den charmanten, aber hörbaren Demosound hindurch begutachten. Die Songs sind einigermaßen technisch, die Vocals tief und dämonisch, und sogar ganze Akustikgitarren-Passagen sind zu bestaunen. Wäre die Reise von hier aus weiter in Richtung progressivem Death Metal gegangen – ein Album wie „Transilvanian Hunger“ wäre undenkbar gewesen.
CD 2 bietet das letzte Demo „Cromlech“, bevor DARKTHRONE beim englischen Label Peaceville unterschrieben und das Debüt „Soulside Journey“ aufnahmen – übrigens ein noch heute empfehlenswerter Klassiker und ein objektiv sehr gutes und technisches Death-Metal-Album. Ähnliches gilt auch schon für „Cromlech“, das eine sauberst eingespielte Liverperformance mit einem für diese Zeit erstaunlich guten Sound dokumentiert. Man darf die damalige Leistung nicht unterschätzen: Die Jungs waren keine zwanzig Jahre alt und lieferten eine astreine Liveleistung mit wirklich guten Death-Metal-Songs ab. Heute würden Mitglieder einer solchen Combo als Wunderkinder vermarktet.
Außerdem in diesem Theater: ein Live-Mitschnitt eines Auftritts in Dänemark aus dem Jahr 1990, schon mit Songs von „Soulside Journey“ im Programm. Die Aufnahme ist verhallt, aber voller Spannung. Man hört: Die Band, die hier spielt, ist ambitioniert, sie meint es ernst mit ihrer Musik, und sie ist voll in ihrem Element. Das ist etwas, das DARKTHRONE schon immer ausgezeichnet hat, das aber oft vergessen wird.
Auf der dritten CD dann etwas ganz Exklusives: die originale, instrumentale Aufnahme des damals nicht veröffentlichten, im Proberaum live eingespielten Albums „Goatlord“, das nach „Soulside Journey“ entstand und ein Bindeglied zwischen der frühen Death-Metal-Phase DARKTHRONES und derjenigen Band ist, die als eine der einflussreichsten Black-Metal-Kapellen Norwegens zu weltweitem Ruhm gelangte. „Goatlord“ wurde erst einige Jahre später, nachträglich mit Gesang versehen, offiziell veröffentlicht, was DARKTHRONE schon damals Vorwürfe der Ausschlachtung einbrachte.
Tatsache ist: Dieses Album ist nicht weniger düster als alle folgenden Black-Metal-Alben, scherte sich aber nicht um Stile und Ansprüche. Zwischen Death Metal, Doom, leichten Gothic-Einflüssen, 70er-Jahre-Rock und einem Anflug progressiver Einflüsse verortet sich hier eine Band, die so einwandfrei eingespielt vielleicht niemals zuvor und auch später nie wieder gewesen ist. Ein in gewisser Weise vielleicht fast visionäres, auf jeden Fall aber beeindruckendes Album, und dazu vollkommen authentisch: Proberaumgespräche und Nebengeräusche sind komplett erhalten und nicht herausgeschnitten. Keine Overdubs, kein Re-Mastering, pures Proberaumfeeling. Genial: Zu Anfang von „Sadomasochistic Rites“, vor dem eigentlichen Stück, spielt einer der Gitarristen ein Riff aus „Panzerfaust“-Zeiten. Solcherlei herzliche Kleinigkeit gibt es einige zu entdecken.
Natürlich muss man die Frage stellen, ob irgendjemand außer DARKTHRONE selbst diese Compilation braucht. Ich fürchte, für einige junge Black-Metal-Hörer wird „Frostland Tapes“ desillusionierend wirken. Hier gibt es nichts zu hören, das es auch nur im Ansatz mit heutigen Standards aufnehmen könnte. Überholte Songs, überholte Aufnahmetechniken, überholte Stile. Nur das Feeling ist, so hoffe ich, nicht überholt. In Zeiten, in denen für Kids Black Metal vor ENDSTILLE gar nicht denkbar ist bzw. in ihrer Vorstellung gar nicht existiert hat, ist das eine sehr hehre Hoffnung – und ich glaube, ein wenig wollen DARKTHRONE genau das mit dieser zweifelhaften Veröffentlichung zeigen.
Grandioses Review! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.