Dark Tranquillity - Character

Review

Death Metal! Die Scheibe hat kaum ihre volle Drehzahl im Player erreicht, da schießen einem schon Blastbeats und alt-göteborgische Gitarren um die verwunderten Ohren. Und denen glaubt man erst einmal überhaupt nicht, denn „The New Build“, so der Titel des Openers, ist eine Zeitreise ins Jahr 1997, als DARK TRANQUILLITY mit „The Mind’s I“ einen absoluten Klassiker veröffentlichten. Auch Song Nummer 2 ihres neuesten Streichs könnte man in der Vergangenheit ansiedeln, wobei es hiernach gleich merklich moderner zugeht und Song Nr. 3 namens „Out Of Nothing“ eher an das 99er „Projector“ erinnert.
Die ersten Eindrücke zum neuen DARK TRANQUILLITY Album „Character“ sind vielfältig und äußerst positiv. Und seiner Intuition soll man ja folgen, da sie ja meistens richtig ist. Die ersten Songs überzeugen zwar voll und ganz, einfach machen es einem die Schweden allerdings nicht. Denn je öfter ich das Album höre, desto mehr bin ich zwischen Begeisterung und Ernüchterung hin- und hergerissen. Auf der einen Seite spielt sich einem „Character“ sofort ins Herz, da DARK TRANQUILLITY es einfach verstehen, erstklassige, mitreißende Songs zu schreiben. Starke Melodien und traditionelle aber keinesfalls angestaubte Göteborg-Riffs im zeitgemäßen Kontext. Auf der anderen Seite haben die elektronischen Elemente deutlich an Gewicht gewonnen. Ihre Verwendung ist zwar meistens subtiler Art, doch bilden sie mittlerweile einen gleichwertigen Counterpart zu den Saiteninstrumenten und sorgen so für den sehr modernen Gesamteindruck, der die Scheibe trotz aller Reminiszenzen an vergangene Tage dominiert.
Womit wir beim Dilemma wären: „Damage Done“ ist ein klasse Album, existiert aber eben schon. Besonders in der zweiten Hälfte seiner Spielzeit ist „Character“ seinem Vorgänger einfach zu ähnlich. Richtige Innovationen finden sich kaum, wenn dann nur im Detail, und auch die Griffigkeit der Songs lässt im Vergleich zu den ersten vier bis fünf Tracks nach. Darf man einem Album ankreiden, dass es klingt wie sein Vorgänger, wenn selbiger großartig war? Bisher konnte jedes DARK TRANQUILLITY Album mit einer deutlichen musikalischen Entwicklung überraschen, die es von seinen Vorgängern unterschied, mit „Character“ treten sie nun aber zum ersten mal auf der Stelle. Zwar sind auch auf „Character“ ein paar Neuigkeiten zu hören (siehe Opener), leider fehlt dabei aber die Konsequenz. Denn im Kontext des gesamten Albums ist „The New Build“ so untypisch, dass es sich wohl eher als Bonustrack geeignet hätte, denn als Eröffnungsstück. Warum nicht mehr davon? Dass DARK TRANQUILLITY den perfekten Spagat aus traditionellem Death Metal und zeitgemäßen Experimenten beherrschen, zeigt „The New Build“ ohne Zweifel! Leider bleibt der Rest der Platte hinter diesem Killersong zurück, soll aber auch nicht ausschließlich daran gemessen werden, was man hätte anders machen können. Wie soll man also mit einem solchen Album verfahren? Wer von „Damage Done“ nicht genug kriegen kann, macht mit „Character“ auf keinen Fall etwas falsch. Alle anderen bekommen ein hochwertiges Album mit DARK TRANQUILLITY Gütesiegel, das es allerdings schon einmal gab.

17.01.2005
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